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Thomas Kindler
Zwischen Hamburg und München

Ein Gespräch mit Thomas Kindler über Heimat, Fußball und die Zukunft von XING.

Seit Januar 2023 ist Thomas Kindler Managing Director des Job-Netzwerks XING. Er ist angetreten, den Internet-Pionier erfolgreich durch eine der größten Transformationen seiner 20-jährigen Geschichte zu navigieren. Dabei setzt der 41-Jährige auf eine Mischung aus Strategie, Intuition und dem Willen, etwas Neues zu erschaffen, ohne Bewährtes über Bord zu werfen. Perspektivwechsel sind für ihn nichts Neues: Seine berufliche Laufbahn startete er von der Pike auf als Informationstechniker, bevor er nach seinem Studium in der Wirtschaft strategisch durchstartete. Dabei hat er gelernt, die Vorteile dieser unterschiedlichen Blickwinkel für seine Arbeit als Gestalter einer neuen Ära der Jobsuche zu nutzen.

Die wichtigste Frage vorab: Sie arbeiten in Hamburg und leben in München. Gibt es einen Favoriten?

Thomas Kindler Ich bin im Rheinland aufgewachsen und hier liegen meine Wurzeln. Für mich ist das Rheinland tatsächlich auch eine großartige Kombination aus den beiden Metropolen, in denen ich mein Leben mittlerweile verbringe: offen, herzlich, humorvoll und immer bereit zum Feiern wie die Münchner – und geradeaus, weltoffen, ehrlich und tolerant wie die Hamburger. An Hamburg schätze ich das Wasser, die Nähe zum Meer und die steife Brise, an München die Berge, Sommerabende an Seen im Umland und die kurze Entfernung in den Süden.

Und wo schlägt das Fußballherz?

Thomas Kindler In meiner Kindheit wollte ich wie wahrscheinlich viele kleine Jungs Fußballprofi werden, da stand eher Fortuna Düsseldorf als regionaler Verein im Fokus. Ich bin jetzt aber lange genug in München, um Fan von Bayern zu sein – würde mich aber auch mal wieder sehr freuen, ein Spiel gegen den Hamburger SV in der Allianz Arena zu sehen.

Zum Thema Neuanfang und Fußball: XING unterstützt seit Beginn als Hauptsponsor die neugegründete Baller League. Welche Strategie steckt dahinter?

Thomas Kindler Wir befinden uns mit XING mitten in einer strategischen Neuausrichtung, das Sponsoring der Baller League ist dabei ein wichtiger Baustein. Wir wollen Aufmerksamkeit bei neuen Zielgruppen generieren und diese für uns erschließen. Dazu gehören junge Talente, aber auch Menschen aus sogenannten „Blue-Collar-Berufen“, die außerhalb der Schreibtischwelt tätig sind. Zusätzlich profitieren wir als Marke natürlich aber auch von der ­Abstrahlkraft der prominenten Team-Manager und Spieler der Baller League, darunter Fußballprofis wie Lukas Podolski oder Christoph Kramer sowie Sympathieträger wie Selina Cercic oder Alisha Lehman, die mehr als 25 Millionen Follower auf Social Media haben. Über Twitch und andere Online-Kanäle schafft es die Baller League im Schnitt auf über 350.000 Zuschauer pro Spieltag – das ist mehr als so mancher Bundesligist. Dadurch gelang es uns in der zweiten Saison, rund 407 Millionen Kontaktpunkte mit der Marke XING zu erzeugen und damit sogar die bereits sehr guten Reichweiten aus der Premierensaison noch zu übertreffen. Das macht uns große Freude, und deshalb werden wir unser Engagement auch in der dritten Saison fortsetzen.

Sprechen wir über den Elefanten im Raum: Ist XING noch ein Place to be – oder vom Wettbewerb eingeholt worden?

Thomas Kindler Seien wir ehrlich: Dafür, dass XING sogar schon totgesagt wurde, ist es quicklebendig. Wir waren einer der digitalen Pioniere in Deutschland und verbinden 20 Jahre später mit einer starken Präsenz auch in Österreich und der Schweiz nach wie vor über 22 Millionen Mitglieder im deutschsprachigen Raum. Dass wir weiterhin erfolgreich am Markt sind, liegt aber auch daran, dass wir uns immer wieder neu erfunden und aufgestellt haben. In einer solchen Transformationsphase, in der wir vieles umkrempeln und auf eine sich gänzlich verändernde Situation am Arbeitsmarkt reagieren, befinden wir uns gerade. Wir scheuen die steife Brise nicht.

Wie genau sehen diese Änderungen bei XING denn aus und wie weit ist die angesprochene Transformation fortgeschritten?

Thomas Kindler Vieles hat sich schon geändert. XING hat sich in den vergangenen knapp 1,5 Jahren von einem allgemeinen beruflichen Netzwerk hin zu einem Job-Netzwerk gewandelt. In einem Jobmarkt, der groß und unübersichtlich ist, bieten wir einerseits Orientierung für Menschen, die eine neue Stelle suchen. Und andererseits haben Unternehmen die Möglichkeit, über uns ihr Recruiting zu optimieren. Damit reagieren wir auf die dynamische Marktsituation, die durch den demographischen Wandel und den Fachkräftemangel in vielen Branchen bereits entstanden ist. Bis 2035 werden jeden Werktag rund 1000 Menschen den Arbeitsmarkt verlassen, insgesamt rund 5 Millionen Babyboomer gehen in Rente. Bei derzeit rund 46 Mio. Erwerbstätigen ist das ein deutlich spürbarer Anteil. Wir werden voraussichtlich nie wieder so viele Arbeitskräfte zur Verfügung haben wie jetzt. Für Bewerber heißt das: Das Angebot wird immer komplexer – und Arbeiten seit der Pandemie auch immer ortsunabhängiger. Wir haben deshalb eine neue Zeitenwende bei der Jobsuche eingeläutet. Bei XING finden sich alle in Stellenanzeigen ausgeschriebenen Jobs und nicht nur diejenigen, für die Unternehmen bezahlen. Aktuell sind das rund 1 Million offene Stellen. So unterstützen wir unsere Nutzerinnen und Nutzer dabei, aus den vielen Möglichkeiten den einen Job zu finden, der zu ihren Bedürfnissen und ihrer individuellen Lebenssituation passt und sie hoffentlich glücklich macht. Und die Reaktionen unserer Nutzerinnen und Nutzer geben uns recht, wenn monatlich rund zwei Millionen Menschen ihr Profil schärfen, dann machen wir etwas richtig. Damit unterstützen wir aber auch Unternehmen: Denn je besser das Match ist, desto größer ist die Chance, dass sie talentierte Kräfte nicht nur finden, sondern auch langfristig binden können.

Wird XING so nicht nur zu einer weiteren Jobplattform?

Thomas Kindler Nein, denn der Netzwerkgedanke spielt weiterhin eine zentrale Rolle. Wir bringen Menschen und Unternehmen zusammen und unterstützen HR-Abteilungen dabei, ihr Recruiting zukunftssicher aufzustellen. Rund 20.000 Recruiter sind auf unserer Plattform unterwegs – das ist auch für unsere Mitglieder ein riesiger Vorteil. Als XING vor 20 Jahren als OpenBC an den Start gegangen ist, war der Gedanke dahinter, das Netzwerken zu demokratisieren, indem man es digitalisiert, also Chancengleichheit statt regionaler Klüngel. Mit unserem Angebot, das alle verfügbaren Jobs allen zugänglich macht, demokratisieren wir heute den versteckten Stellenmarkt. Auch wenn der Arbeitsmarkt im Moment unter der Rezession leidet, haben sich die Voraussetzungen grundlegend gewandelt, denn mittelfristig werden wir zu wenige verfügbare Arbeitskräfte für die offenen Stellen haben. Und darauf reagieren wir. Die Idee dahinter ist gleich geblieben, nur die Umsetzung passt sich den Zeiten an. Dazu gehört auch, dass wir zunehmend KI nutzen.

Wie wird KI beim Angebot von XING jetzt schon – oder auch zukünftig – eingesetzt?

Thomas Kindler Als erste Plattform überhaupt stellt XING seine Jobsuche auf eine dialogbasierte KI um. Wir haben mit der „Smart Search“ ein Tool auf den Weg gebracht, das in der Beta-Version bereits live ist und die Art und Weise, wie wir Jobs suchen, grundlegend verändert. Im Eingabefeld der Suche kann alles eingetragen werden, was einem im nächsten Job wichtig ist: Karriere- oder Gehaltsziele, Voll- oder Teilzeit, Unternehmenskultur, eigene Stärken und Fähigkeiten, Hund mitnehmen, Kinderbetreuung, Sinnstiftung, „was mit Medien“ … alles geht. Die XING KI durchforstet daraufhin nicht nur die knapp 1 Mio. Anzeigen aus dem XING Stellenmarkt nach den eingegebenen Begriffen, sondern interpretiert auch den Kontext und die Intention der jeweiligen Suche, findet verwandte Begriffe und ­bedeutungsähnliche Aussagen. Die wichtigsten Filter werden dabei automatisch gesetzt, was den Jobsuchenden zusätzliche Klicks erspart. Dabei heraus kommt eine Liste mit Jobs, die oft über eine klassische Stichwortsuche gar nicht gefunden worden wären. Und manchmal auch Jobs, von denen man gar nicht wusste, dass es sie gibt oder dass man dafür in Frage käme.

Das heißt, XING fokussiert sich beim Einsatz von KI-Lösungen auf die Talentseite?

Thomas Kindler Nein, auch für die Recruitingseite haben wir passende Angebote entwickelt: Für das erfolgreiche Passive Sourcing, also die Suche von Bewerbern über klassische Medien wie Stellenanzeigen, erstellt die KI von XING vollständige Texte für Ausschreibungen auf Basis weniger Stichworte und der im System hinterlegten Unternehmensinfos. Für das Active Sourcing – das gezielte Ansprechen potenzieller Kandidaten – stehen wir HR-Abteilungen z.B. bei der Kandidatensuche und der Formulierung personalisierter Recruitingnachrichten zur Seite.

Unser großer Vorteil ist, dass wir Unmengen von Daten haben, mit denen wir die KI effektiv trainieren können. Wir kennen die Profile und Werdegänge unserer Nutzerinnen und Nutzer und können so maßgeschneiderte Angebote entwickeln und immer weiter verfeinern. Damit eben nicht nur ein beliebiger Job gefunden wird, sondern der, der zu den individuellen Bedürfnissen und eigenen Lebensumständen passt. Genau das ist unser Ziel.

Das klingt nach großen Veränderungen, aber auch großen Herausforderungen. Was treibt Sie als Manager dabei an?  

Thomas Kindler Ich bin ein Gestalter. Im Job und auch privat. Eigentlich wollte ich Architekt werden, inspiriert durch meinen Großvater, der mir gezeigt hat, wie man mit den Händen arbeitet, Häuser renoviert und aus alten Dingen neue erschafft. Am Ende ist es dann erst eine Ausbildung und danach ein Studium der Wirtschafts- und Informationswissenschaften geworden. Mein aktueller Job hat für mich allerdings jede Menge mit dem Thema Gestaltung zu tun – weil ich Prozesse nicht nur verstehen, sondern mitentwickeln will, weil ich Neues aufbauen und Bewährtes optimieren möchte. Es geht mir um die harmonische Balance aus Transformation und Tradition: Alles in Frage zu stellen heißt nicht, auch alles umzuwerfen. Transformation ist immer eine Chance für Unternehmen und Einzelpersonen, aber gleichzeitig auch sehr disruptiv. Und natürlich laufen Dinge nicht immer ganz rund, das liegt in der Natur der Sache. Neue Wege sind eben nicht immer eine gerade und perfekt ausgebaute Rennstrecke.

Seit seinen Anfängen vor 20 Jahren hat XING seinen Sitz in Hamburg. Wie stark ist die Marke mit der Hansestadt verwurzelt?

Thomas Kindler Sehr stark. Unsere Unternehmenszentrale befindet sich in Hamburg – wir sind mit der Stadt tief verbunden, hier schlägt unser Herz. Wir haben auch Teams in Wien, Porto, Valencia und Barcelona, aber Hamburg ist ein Teil von uns und wir ein Teil der Stadt. Auch wenn ich nicht in Hamburg lebe, fühle ich mich fast heimisch, wenn ich hier vor Ort bin. Es ist für mich ein emotionales Zuhause.

Last but not least: Was sind Ihre persönlichen Tipps zum Ausgehen in Hamburg?

Thomas Kindler Bei meinen Aufenthalten in Hamburg haben zunächst natürlich meine geschäftlichen Aufgaben Priorität. Für einen Business Lunch wähle ich gern Carls Brasserie direkt gegenüber der Elbphilharmonie, in der Nähe unseres Büros gelegen. Ich mag den hanseatischen Charme und die Brasserie-Küche mit Elbblick.

Wenn ich abends mit Geschäftspartnern unterwegs bin, dann gehe ich gern ins Heimat Restaurant in der HafenCity. Hier gibt es Authentisches aus der gesamten Welt – lässig, urban und bestens geeignet für gute Gespräche.

Für den Austausch nach der Arbeit oder um einen Team-Erfolg zu feiern ist das Bistro Neumanns in der Langen Reihe meine erste Wahl. Die Atmosphäre dort ist gesellig, gemütlich und die Gäste sind so vielfältig wie die Mitgliederinnen und Mitglieder von XING.

Thomas Kindler ist seit Januar 2023 Managing Director des Job-Netzwerks XING. Der 41-Jährige war zuletzt als Senior Vice President für Portfolio-Strategie & Business Operations des E-Recruiting-Geschäfts für die New Work SE, die Muttergesellschaft von XING, tätig. Vor seiner Zeit bei der New Work SE war Kindler unter anderem beim Jobportal StepStone und der in München ansässigen Karriere- und Recruiting-Plattform Experteer in leitender Funktion als COO angestellt. Der Rheinländer hat Informationstechnik gelernt und Informations- sowie Wirtschaftswissenschaften in Köln studiert und war im Anschluss beim Technologie-Konzern 3M tätig, bevor er in die digitale Wirtschaft wechselte. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von München.

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