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Ein Leben ohne Typosalat und Bleiwüste
Zwei, die sich getroffen haben, um Charakter zu entwickeln

Hier haben sich wahrlich zwei Koryphäen der Typografie gefunden: Achaz Prinz Reuss aus adeligem Geschlecht und Albert-Jan Pool von der Königlichen Akademie in Den Haag. Das passt! Beide Type-Designer, die seit Anfang der 80er Jahre manchmal getrennt, manchmal zusammen marschiert sind und mehrmals zusammen erfolgreich geschlagen haben (frei nach Moltke). Sie haben die Typo-Welt verändert und nachhaltig beeinflusst! Ihr Nabel der Welt ist Hamburg!

Albert-Jan Pool gestikulierend mit Achaz Prinz Reuss diffus im Vordergrund
Albert-Jan Pool & Achaz Prinz Reuss

Moin! Da haben sich ja Zwei gefunden, die zusammen Typo-Geschichte geschrieben haben! Wie fing’s denn überhaupt an?

Achaz Prinz Reuss Anfang der 80er-Jahre haben wir bei URW, „Unternehmensberatung Karow Rubow Weber“, Schriften digitalisiert, als die Ersten weltweit. Einer der Inhaber, Peter Karow, gilt heutzutage als Erfinder der digitalen Schrift. Das Wort digital kannte ich bis dahin gar nicht.

Anfang der 80er Jahre? Damit ward ihr der Zeit ja fast zehn Jahre voraus.

Achaz Prinz Reuss So gesehen ja. Damals fingen einige Satzmaschinenhersteller damit an, den Satz zu digitalisieren und für die haben wir die Schriften entwickelt.

Und die Firma saß nicht zufällig in New York oder so?

Achaz Prinz Reuss Nein, nein, die sind hier in Hamburg und die haben mich bei meinem ersten Besuch gleich verhaftet. Ich habe mich dort die folgenden zwölf Jahre damit beschäftigt, die gutgehenden Schriften vom Fotosatz für den digitalen Satz zu überarbeiten. Aber irgendwann kam mir der Gedanke, jetzt mach ich mal eine eigene Schrift.

Das kann ich mir gut vorstellen, denn eine Schrift zu entwickeln ist ja auch eine kreative Herausforderung. Das war dann schon so Mitte der 90er? Aber vorerst: wie habt ihr euch kennengelernt?

Achaz Prinz Reuss Begegnet sind wir uns 1987. In Wedel gab es die Firma Scangraphic – vorher Dr. Böger Photosatz – die bauten Satzmaschinen und hatten die Möglichkeit entwickelt, ihre Buchstaben bis zu 90 Millimeter Größe zu skalieren. Da haben sie gemerkt in was für einem schlechten Zustand diese Buchstaben waren, die sie vorher nur bis zu 18 Millimeter groß kannten. Deshalb kamen sie zu uns, denn wir hatten Ikarus, ein System mit dem man digital die Konturen der Buchstaben in beliebiger Größe beschreiben kann. 979 Schriften haben wir für Scangraphic überarbeitet. Mein Gegenspieler bei Scangraphic seinerzeit war Albert, das war der Anfang unserer Zusammenarbeit.

Na, das ist ja ein Ding! 1.000 habt ihr also nicht mehr geschafft…

Achaz Prinz Reuss Nee, leider nicht. Scangraphic ist irgendwann von Mannesmann gekauft worden und dann vom Markt verschwunden.

Wie oder wodurch ist es eigentlich passiert, dass ihr euch seinerzeit für Type und Typo, also Schrift und Typografie begeistert habt und ja immer noch begeistert?

Albert-Jan Pool Auf der weiterführenden Schule habe ich angefangen tanzende Bubble-Gum-Buchstaben zu malen, wie auf einem Jimi Hendrix Album-Cover, so Flower Power und hippiemäßig.

Ah ja, das waren diese in sich geschwungenen und verschrobenen ­Buchstaben.

Albert-Jan Pool Ja genau. So fing ich an, diese Buchstaben weiterzuentwickeln und ein vollständiges Alphabet zu entwerfen. Mit dieser und anderen Arbeiten habe ich mich bei der Kunstakademie beworben und wurde aufgenommen. Nach vier Jahren mussten wir in allen Fächern die Prüfung absolvieren. Neben Logo, Typo und Schrift gab es noch Foto, Packaging und Illustration … An den letzten drei bin ich gescheitert und habe das Studium auch nie zu Ende gemacht. Gerrit Noordzij, der Dozent für Schrift, fand mich gut. Weil ich nun ohne Diplom und ohne Job da stand, vermittelte er mich zu Scangraphic. Dadurch entstand mein erster Kontakt zu Achaz, denn unser Lieferant war die Firma URW. Dessen Arbeiten waren mit meinen Korrekturen immer rot angemarkert!

Achaz Prinz Reuss Das war genau das, was ich eben schon angedeutet hatte. Wir konnten die kleinen Buchstaben nicht einfach so hochziehen, dann sahen wir nämlich, wie mangelhaft und ausgerissen sie waren, die Ränder ganz gezackt. Wir mußten die Schriften wieder zu Schriften machen. Übrigens, als es 1991 mit Scangraphic nicht mehr so gut lief, ist Albert zu uns gekommen, zu URW.

Die Zusammenarbeit von URW und Scangraphic bedeutete für Euch also den gemeinsamen Anfang.

Achaz Prinz Reuss Genau. Zu der Zeit kamen die ersten PCs auf den Markt. Irgendwann ging es URW auch schlechter. Plötzlich konnten die Menschen ihre eigenen Sachen setzen. Wysiwyg war angesagt, „what you see is what you get“. Das war bis dahin kaum möglich oder halt teuer!

Albert-Jan Pool Viele Agenturen und Grafik-Designer haben sich eigene Computer gekauft. Die Agenturen wurden durch die Computer immer autarker und haben alles selbst gemacht. Bald gab es keine Setzereien mehr. Auch die Satzmaschinen-Hersteller gingen pleite, URW sind die Kunden weggebrochen. Die Satzmaschinen-Hersteller hatten alle gedacht, Schrift ist nur Beiwerk, unser Kerngeschäft ist die Hardware, die großen teuren Anlagen. Es kam aber anders: die Schriften sind alle übrig geblieben und sind immer noch da! Wir beide haben im Prinzip den Niedergang und das Elend überlebt. Darüber sind wir sehr glücklich!

Das Geschäftsmodell heutzutage ist ja, Du verkaufst Hardware, aber verdienst an der Software. Zum Beispiel die Druckerpatronen, die sind so schnell leer, so schnell kannst du gar nicht gucken. Und neue Patronen sind teuer!

Achaz Prinz Reuss Ja, dass ist wohl richtig! Im Zuge all dieser Entwicklungen bekam auch URW große Probleme. Wir konnten mit dem Signus-System in Folie große Buchstaben und Schriften schneiden. Ideal für die Menschen in den neuen Bundesländern, die für sich und ihre Läden die Werbung entdeckten. Es gelang aber nicht, die Signus-Software für Windows und MacOS umzuschreiben, das wurde uns zum Verhängnis. URW hatte über 200 Mitarbeiter, darunter viele hochbezahlte Programmierer und Designer. Die hatten alle langfristige Verträge gehabt und die loszuwerden, war fast ein Ding der Unmöglichkeit!

Albert-Jan Pool Die Firma musste 1994 Konkurs anmelden. Einige der ehemaligen Mitarbeiter gründeten URW++ und zwar mit dem, womit noch Geld zu verdienen war: Den Schriften …

Achaz Prinz Reuss Aber vorher hatten wir noch eine Idee. Im Archiv haben wir um die 6.000 Schriften digital gehabt. Diese hat URW auf CDs angeboten, damals ein neues Medium. Eines dieser Produkte war eine CD mit einem großen ­Schriftmusterbuch mit qualitativ hochwertigen Schriften in allen möglichen Varianten, gerundet, schattiert, Outline, Compressed, Stencil usw.

Albert-Jan Pool Da hat vor allen Dingen Achaz’ Herzblut drin gesteckt! Es war eine schöne Geschichte die sich auch gut verkaufen ließ. Leider hat es nicht dazu gereicht, die Firma vor dem Untergang zu retten, es ging einfach alles viel zu schnell.

Und dann?

Achaz Prinz Reuss Bei URW waren wir bei der Schriftendigitalisierung mit dem Ikarus-System weltweit führend. Es war sehr genau, etwa 15 mal genauer als die heutigen Schriften am Mac und PC. Das hatte zur Folge, dass die ganzen renommierten Schrift-Designer bei uns aufschlugen und mit uns arbeiten wollten. Und die gingen bei URW ein und aus. Zapf, Frutiger, Lange, Weidemann, Noordzij, Veljovic … Ein schönes Erlebnis hatte ich – und da hab ich auch begriffen welche Kraft in der Schrift steckt – da kam so ein kleines Hutzelmännchen in weißem Hemd, weißem Schal und schwarzer Lederhose, die weißen Haare etwas länger: Kurt Weidemann. Der hat quasi auf dem Bierdeckel eine eigene Hausschrift für Daimler-Benz entworfen. Mit diesen Hieroglyphen kam er dann zu uns und sagte: „So, dann macht da jetzt mal ’ne Schrift draus.“

Und das ist die Schrift, die auch heute noch als Mercedes-Schrift benutzt wird?

Achaz Prinz Reuss und Albert-Jan Pool Ja, das ist sie.

Aber so eine Idee und so ein Konzept sauber zu entwickeln, das ist doch nochmal eine ganz andere Sache.

Achaz Prinz Reuss und Albert-Jan Pool Da hast Du Recht, das hat lange gedauert. Da haben dann viele Fachleute mitgewirkt.

Albert-Jan Pool Es wurde eine vielseitige Schriftfamilie daraus, die Corporate A·S·E, mit 30 Schnitten.

Albert, dann bist du ja schon wahnsinnig lange hier in Deutschland? Bist du mehr hier als in Holland?

Albert-Jan Pool Ja, ich wohne hier! Frau, Tochter, Haus, Garten. Alles was zu einer Familie gehört ist hier in Hamburg.

Dann arbeitet ihr ja auch räumlich sehr eng zusammen. Ein Miteinander der kurzen Wege?

Achaz Prinz Reuss Eigentlich arbeiten wir räumlich gar nicht so oft zusammen. Gelegentlich, wenn wir zum Beispiel mit Monotype, unserem Verleger, Besprechungen haben oder wie man technisch etwas lösen kann zum Beispiel, dann kommt Inka Strotmann, die uns bei Monotype technisch zur Seite steht, hierher.

Euer Verleger Monotype?

Achaz Prinz Reuss Wir arbeiten mit Monotype zusammen. Es gab ein Consortium von Geldgebern, die die meisten Foundries (Hersteller und Verleger von Schriften) aufgekauft haben. Unter anderem auch Monotype, den jetzigen Namensgeber. Alles was Rang und Namen hatte, ist da mit drin. Wir hatten bis dahin all unsere Schriften über FontShop in Berlin vermarktet und hatten panische Angst nach der Übernahme durch Monotype. Aber es hat sich alles gut für uns entwickelt.

Ich bin weiterhin freiberuflich als Grafik-Designer tätig und hab mich irgendwann mal entschieden, nicht immer nur mit diesen Schrift-Geschichten reine schwarz-weiß Arbeit zu machen. Ich wollte auch mal Logos, Plakate und Bücher in Farbe gestalten. Sozusagen die Schrift anwenden. Aber nochmal zurück zu der Zeit kurz nach URW. Eines Tages rief Albert an, er fuhr gerade durch San Francisco mit Erik Spiekermann. (Anm. d. Red: Erik Spiekermann ist ein deutscher Gestalter, Typograf, Schriftgestalter und Autor.)

Ach, mit dem warst Du viel unterwegs?

Albert-Jan Pool Nein! Ich war wirklich nicht oft zusammen mit Spiekermann unterwegs, damals trafen wir uns auf einem Kongress. Als der zu Ende war, bat mich Spiekermann auf dem Weg zum Flughafen, ihn mal in Berlin zu besuchen, da habe er ein paar Ideen in der Schublade liegen und die werden nicht fertig. Das hab ich gemacht und dann kramte er ein paar Schriften aus der Schublade, genau die, die am hässlichsten waren. Das waren so Schreibmaschinen-Schriften und Verkehrsschriften, die für die Autobahn, die Wegweiser und die Verkehrsschilder eben.

Aber die waren doch eigentlich ziemlich unterschiedlich und bunt, mal grün, mal blau …

Albert-Jan Pool Sie waren trotzdem alle hässlich! Ich hätte mich geschämt für so ein Projekt. Aber Spiekermann meinte: „Wenn Du reich werden willst, dann mach das! Das hat Potenzial!“ Na gut, ich habe dann die erste Schrift gemacht. Die war ziemlich schnell fertig, so zwischen Weihnachten und Neujahr. Die zweite Schrift, die FF DIN, dauerte länger und Spiekermann setzte auf einmal ein Zeitlimit von fünf Wochen! Dann hab ich Achaz angerufen und wir haben die Dinger parallel gemacht.

Achaz Prinz Reuss Er hat den fetten Schnitt gemacht, ich den leichten. Dann haben wir die Zwischenschnitte interpoliert. Das heisst, die einzelnen Punkte auf der Kontur eines Zeichens mussten identisch sein. Damals hatten wir noch keine E-Mail, so dass wir die einzelnen Buchstaben ausdrucken und auf’s Fax legen mussten. Daran konnte der Andere sehen, wie die Punkte verteilt waren.

Damals wart ihr noch räumlich auseinander?

Albert-Jan Pool Ja. Wir konnten uns zu der Zeit kein gemeinsames Büro leisten. Wir waren getrennt irgendwo zur Untermiete und sind im Hinterzimmer angefangen.

Das ist also die deutsche Variante zu den USA, wo alle großen Unternehmen in einer Garage aufgebaut worden sind?

Albert-Jan Pool Ja, genau. Dann kam die Vision von Spiekermann dazu.

Achaz Prinz Reuss Die Vision von Spiekermann war es, eine Firma namens FontShop zu gründen. Diese sollte neue, frische Schriften entwickeln lassen und anschließend unter dem Label FontFont (FF) vermarkten.

Albert-Jan Pool Ausgeliefert wurden die Schriften auf einer Floppy Disc. 1995 war die Ankündigung des World Wide Web. Aber es hat noch Jahre gedauert, bis man das Web wirklich richtig nutzen konnte, um darüber Schriften zu verkaufen.

Achaz Prinz Reuss In dieser Zeit haben wir dann unsere Verkehrsschrift, die FF-DIN, an FontShop ausgeliefert. Ist nicht so viel dabei rum gekommen, aber es war eine interessante Erfahrung. Monate später entdeckte ich eine Summe auf meinem Konto: 178,90 DM. Da dachte ich, dann hat sich unser Einsatz doch gelohnt! Ein Vierteljahr später kam noch mal wieder Geld rein und der Betrag war schon etwas höher. So ging es immer weiter.

Albert-Jan Pool Wir haben da wirklich viel Glück gehabt und für uns eine solide Basis geschaffen. Monotype ist ein börsennotiertes Unternehmen. Die haben großes Interesse daran, den Return of Investment so groß wie möglich zu machen. Darin sind die viel besser als wir alle zusammen.

Achaz Prinz Reuss Das war bis dahin unsere gemeinsame Geschichte und dann haben sich unsere Wege erstmal getrennt. Ich habe wieder meine eigenen Sachen gemacht und mit der Atelier Schümann GmbH zusammen eine ganze Menge Bücher, Magazine und Imagebroschüren entworfen. Ich hatte das Know-how und Klaus Schümann die Kontakte. Durch einen glücklichen Zufall sind wir an gute Adressen gekommen, die wir dann zu einer Open House-Veranstaltung eingeladen haben.

Wohin habt ihr denn eingeladen?

Achaz Prinz Reuss In die Agentur. Die war damals in der Auguste-Baur-Straße in Blankenese. Natürlich haben wir uns vorbereitet und zu jedem Mitarbeiter kleine Infos an eine Tafel geschrieben. Bei mir stand Typografie und Schriftdesign als Schwerpunkt. Und einer der Gäste kam auf mich zu und sagte: „Ich habe gelesen, Sie beschäftigen sich mit Schriften. Ich komme von Beiersdorf und bin der ‚Marketingchef international‘ von Nivea.“ – „Oh, dachte ich, der kommt ja gerade richtig!“ und habe innerlich gejubelt. „Wir sind gerade dabei eine Schrift zu suchen, die mit dem Nivea-Logo harmoniert. Was kann man denn da nehmen? Wir haben uns die Minion als Schrift ausgesucht. Was halten Sie davon?”

Die hast Du ihm gleich ausgeredet und gesagt, das geht nicht.

Achaz Prinz Reuss Nicht wirklich, ich habe gesagt, das ist alles Quatsch, egal welche Schrift. Die wird immer im Gegensatz zu dem Logo stehen. Die Buchstaben im Logo sind so markant, macht doch daraus eine Schrift. Und da ich mich ja für die Open House Geschichte vorbereitet hatte und auf die Wiedererkennung und den Wiedererkennungswert von Schriften hinweisen wollte, habe ich zum Beispiel von Mercedes Benz die Schrift genommen und ohne Logo abgebildet. Norbert Krapp von Nivea erkannte die Marke sofort und begriff was für eine Kraft in einer eigenen Markenschrift im Sinne der Wiedererkennung steckt. Die Mercedes Benz Schrift gab es zu der Zeit schon über fast sechs Jahre und war damit ein absolut positives Beispiel, auch heute arbeiten die noch mit der Schrift.

Das stimmt. Und welche Schriften konntest Du noch zeigen außer der von Mercedes Benz?

Achaz Prinz Reuss Die alte Marlboro. Damals hat die schon super funktioniert. Renault! Dann die VW AG rounded, die Volkswagen-Schrift. Also ich war wirklich gut vorbereitet. Und einmal im Leben zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit den richtigen Worten auf den Lippen!

Albert-Jan Pool Das ist eine der grundlegenden Ideen. Wir versuchen als Designer die ganze Identität eines Unternehmens in dem Logo widerspiegeln zu lassen. Wenn ein Logo nicht allzu verrückt ist, kannst Du es als Grundlage für eine Hausschrift nehmen. So hab ich auch meine Jet-Schrift gemacht, die für Hein Gas, die für die HEM-Tankstellen usw.

Ihr habt bei Monotype Eure Ansprechpartner und seid im ständigen Dialog mit denen, so dass ihr wisst, was sich so entwickelt oder kann es sein, dass ihr auch ganz viel umsonst arbeitet?

Albert-Jan Pool Das ist uns mit Monotype noch nicht passiert, aber ansonsten haben wir auch das lernen müssen. Du hast so viele Ideen und könntest machen, machen, machen. Da muss man schon aufpassen, dass das nachher bezahlt wird! Ich habe deshalb auch für Agenturen gearbeitet. Die Jet Geschichte lief zum Beispiel über Syndicate (Anm. d. Red.: Hamburger Branding- und Designagentur).

Jet-Tankstellen, das war doch Conoco, die saßen damals in der City Nord.

Albert-Jan Pool Ja, das stimmt. Markus Greinke, damals bei Syndicate, rief an. Es hieß dann, wir werden die Jet-Tankstellen neu gestalten: Logo, Zapfsäulen, Beschriftung, Schriften … Das war ein Wahnsinns-Auftrag! Er hatte es verstanden, zum Logo, zur Identität gehört auch eine Schrift! Die müssen wir entwickeln, meinte er, das gehört dazu.

Die Idee war, wenn Du an der Zapfsäule stehst und tanken willst, ist es der einzige Moment, wo der Kunde fokussiert ist auf das Produkt, weil er ja genau wählen muss. Es gibt keine Icons für Benzin, Diesel oder Super. Es sind nur diese Buchstaben. Und wenn Du da die Identität des Logos mit reinbringen kannst – visuell – dann müsstest Du gewonnen haben. Das war die Basis für mich, für Jet die Hausschrift zu entwickeln.

Werden die Auftragsschriften denn heute noch genauso eingesetzt?

Achaz Prinz Reuss Nivea hat das Problem, dass zu viele Leute mitreden dürfen, die eben nicht auf die Schrift zurückgreifen.

Gibt es denn kein Corporate-Design Manual?

Achaz Prinz Reuss Ein Corporate Design zu erhalten ist nicht jedermanns Sache. Es ist ja viel einfacher bei Null anzufangen und alles neu zu entwickeln. Oftmals heisst es „oh Gott, immer noch die gleiche Schrift. Ich kann die nicht mehr sehen.“ Aber das ist ja auch die Schrift, die die Kunden kennen und genau wegen dieses Wiedererkennungswertes zugreifen. Wenn man neu anfängt, dann müssen die Kunden wieder lernen und sich umstellen. „Das ist das Produkt? Hätte ich nicht gedacht. Das sieht doch ganz anders aus.“

Das ist wie ein neuer Name. Das geht nicht. Es müsste sich ein gewisses Verständnis entwickeln für gewisse Regeln, die einfach gelten.

Achaz Prinz Reuss Da hast Du Recht. Es gilt eine Regel: „Die Schrift ist die Erkennungsmelodie der visuellen Kommunikation!“

Aber die Auftragsschriften sind nicht Euer einziges Einkommen, oder?

Achaz Prinz Reuss Wir unterscheiden die Auftragsarbeiten auf der einen Seite und die eigenen Schriften auf der anderen Seite. Bei Monotype wird vom Type-Board entschieden, welche neuen Schriften vermarktet werden. Wenn die Schrift da durch kommt, dann wird sie produziert und kommt auf den Markt. Und auf einmal siehst Du, dass irgendwelche Einzelpersonen oder Firmen diese Schriften für sich kaufen für wenig Geld. Die zahlen an Monotype von denen wir dann unsere Prozente bekommen.

Albert-Jan Pool Schriftenvertrieb ist ein Lizenzmodell. Einerseits wird an große Firmen lizenziert, unsere FF DIN wird seit einiger Zeit von Aldi eingesetzt, das macht sich in der Abrechnung schon bemerkbar. Du verdienst natürlich mehr, wenn eine Schrift populär ist. Die Zahl der Kleinkunden, die mal 60 oder 120 Euro für eine Schrift zahlen, ist enorm groß. Dazu kommt dann die Vielzahl von Downloads für die Darstellung auf Websites und in Anzeigen. Es läppert sich eben so zusammen. Pro Kauf bekommen wir ca. 30 Prozent.

Okay, das summiert sich! Spürt ihr jetzt in der Richtung eine Änderung für euer Business oder nicht so?

Albert-Jan Pool Eigentlich nicht. Aber wie schon am Anfang erwähnt ist eines anders, unser Verleger, der Eigentümer des FontShops, Erik Spiekermann, hat seinen Laden verkauft an Monotype und Monotype kann unsere Schriften auf jeden Fall sehr gut verkaufen. Im Grunde ein glücklicher Umstand für uns. Wir sind über die Entwicklung sehr erfreut! Die Arbeit mit den Schriften sind unsere Lebensversicherung und Rente in einem.

Also, ihr ergänzt Euch anscheinend sehr gut. Es scheint eine Verbindung auf ewig zu sein?

Achaz Prinz Reuss Mit der FF DIN ja.

Albert-Jan Pool Wir gehen aber nicht jedes Wochenende zusammen grillen.

Was habt ihr noch für Ziele?

Achaz Prinz Reuss In der FF DIN – was mittlerweile auch ich begriffen habe – steckt so viel Potential, immer noch! Auch wenn es viel Arbeit bedeutet, kann man da noch eine Menge rausholen!

Die Zukunft ist gerettet!

Achaz Prinz Reuss Wie weit man sie aufpusten kann und was dann passiert, weiß ich nicht, aber ich gehe davon aus, dass es viel sein wird!

Albert-Jan Pool Wir dürfen beide nicht meckern. Aber wir setzen im Prinzip auf die Werte, die wir geschaffen haben. Bisher hat das wunderbar funktioniert, aber der Schriftenmarkt war und ist immer in Bewegung!

Albert, Du hast eine Funktion beim Deutschen Institut für Normung inne?

Albert-Jan Pool Ja. Ich bin beim DIN im Ausschuss „Schriften“, da kümmern wir uns unter anderem um Leserlichkeit von Schrift. Zunehmend melden sich Bürger und merken an, dass sie dies oder jenes nicht gut lesen können. Oft sind Schriften Ihnen zu klein, zu mager, zu fett oder zu gleichförmig – nicht gut leserlich eben. Was ja nicht per sé heißt, dass solche Schriften schlecht sind. Jede Schrift hat ihre Eigenheiten und ist deswegen für ganz bestimmte Anwendungen wunderbar geeignet. Wenn an eine Schrift Anforderungen gestellt werden, wofür sie nie entworfen wurde, dann kann es aber schon sein, dass sie nicht gut leserlich ist. Kleine und fette Schriften können zulaufen wenn sie auf schlechtem Papier gedruckt werden. Schriften mit dünnen Haarlinien eignen sich nicht für Autobahnwegweiser. Schriften mit Serifen können auf Bildschirmen mit sehr geringer Auflösung kaum einwandfrei dargestellt werden usw. Das DIN hat die Aufgabe, solche Sachen zu normen und zu gewährleisten dass die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden. Bei Schriften sind das beispielsweise Menschen mit einer geringeren Sehschärfe, Sehbehinderte, Legastheniker und Menschen mit einer geringeren Lese-Kompetenz. Keine einfache Aufgabe.

Und die gute alte DIN-Schrift?

Albert-Jan Pool Eine Normschrift, mit der man alle Probleme lösen kann, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die alte DIN, also nicht unsere FF DIN, ist für die Verkehrswegweiser sicherlich nicht schlecht. Sie stellt aber keine gute Lösung für die meisten anderen Anwendungen da. Alles über einen Kamm zu scheren, das geht nicht. Wir wissen, dass ein längerer, in normaler Lesegröße dargestellter Text weniger gut leserlich ist, wenn wir diesen in eine kursive, sehr magere oder fette Schrift setzen. Das heißt aber nicht, dass wir sie deshalb verbieten sollen. Im Gegenteil, wir brauchen sie sogar. In Österreich wurde eine umfangreiche Broschüre in sogenannter „Leichter Sprache“ verfasst. Sie wurde komplett in der Arial 14 Punkt gesetzt. Keine kursiven Auszeichnungen, keine halbfetten Überschriften. Einfacher geht es nicht, hatte man sich gedacht. Die Broschüre hat sich tatsächlich als untauglich erwiesen. Alle Textabschnitte sahen gleich aus, Überschriften hoben sich nicht ab. Es war keinerlei Hierarchie wahrnehmbar, jegliche Leseführung fehlte. Eine reine Bleiwüste. Bei einem Forschungsprojekt kam raus: kein Mensch liest das. Darüber hinaus stellte man fest, dass es andere Schriften als die Arial gab, die nicht nur schneller aber auch mit weniger Fehlern gelesen wurde.

Gibt es Kunden die Euch positiv überrascht haben?

Achaz Prinz Reuss Riesig gefreut habe ich mich über das Hotel Louis C. Jacob. Wir hatten uns dort als Agentur vorgestellt und wollten das Erscheinungsbild neu prägen. Auf der Fassade gibt es einen Schriftzug in einer sehr eigenständigen Schrift, die es aber digital nicht gibt. Ich habe sie digitalisert und ergänzt. So haben wir eine eigene Schrift für das Hotel entwickelt. Das hat dazu beigetragen, den Job zu bekommen.

Albert-Jan Pool gestikuliert
Albert-Jan Pool

Großartig! Eine schöne Schrift. Ich freu mich immer, wenn ich am Jacob vorbeifahre … Habt ihr eigentlich Vorbilder?

Achaz Prinz Reuss Nicht wirklich. Es hat mich persönlich nicht inspiriert, dass die bei uns immer alle reinkamen, die Zapfs und Frutigers usw. Die Schriften von Frutiger liegen mir persönlich mehr als die von Zapf, aber ich kann nicht sagen, dass ich einem von ihnen nacheifern würde.

Albert-Jan Pool Für mich war Frutigers Groteskschrift, die Frutiger eben, schon ein großes Vorbild!

Auf die Schrift bezogen, und wie sah es mit seiner Persönlichkeit aus?

Achaz Prinz Reuss Ich erinnere nur, als Frutiger bei URW durch die Tür kam, äußerte er sich ein wenig abfällig über die Optima von Hermann Zapf: „Der Junge soll lieber weiter seine Antiqua machen, von Groteskschriften sollte er mal die Finger lassen.“

Albert-Jan Pool Die URW-Grotesk von Zapf ist ja nie so recht was geworden. Frutiger ist da mit seinen Grotesk-Schriften ungeschlagen! Seine Frutiger gehört zu den am besten verkauften Schriften und wird auch am wenigsten kritisiert oder bemängelt.

Seht ihr eine Tendenz für die Zukunft, wohin sich Schriften entwickeln und wie die Schrift der Zukunft aussieht?

Achaz Prinz Reuss Ich bin früher oft durch die Stadt gefahren um mal einwirken zu lassen, wie Schrift im Stadtleben auf mich wirkt. Und irgendwann merkst Du, der Trend geht in irgendeine Richtung. Man kann das gar nicht richtig benennen.

Albert-Jan Pool Zur Zeit werden immer größere Schriftfamilien mit immer mehr Varianten entwickelt. Das sind praktisch die eierlegenden Wollmilchsäue der Typografie. Anderserseits sind individuelle, handgemacht wirkende Schriften angesagt. Wir erleben komplett entgegengesetzte Trends. Aber, wie es weitergeht? Es ist schwierig, die Zukunft vorherzusagen.

Sind Type und Typo angewandte Kunst?

Albert-Jan Pool Ja, das kann man so sagen. Wir sind wie Architekten und Designer. Unsere Arbeit ist ja im Grunde nicht rein künstlerisch. Wir machen keine Broschüre aus freien Stücken, denn das Ergebnis der Arbeit entsteht aus dem Zusammenspiel mit dem Auftraggeber. Vielleicht macht man mal einen genialen Entwurf, dann ist das großartig. Dann sage ich mit Kurt Schwitters gerne: „Typografie kann unter Umständen Kunst sein.“

Achaz Prinz Reuss und Albert-Jan Pool Type und Typo sind aber zwei verschiedene paar Schuh. Wir sind Type-Designer, die eine Schrift gestalten. Die Typografen sind diejenigen, die die Schriften anwenden. Mach mal eben die Typo, bedeutet, such Dir mal eben eine Schrift aus.

Was ist denn für Euch eine perfekte Schrift?

Albert-Jan Pool Eine perfekte Schrift ist eine solche, die, was Leserlichkeit, Anmutung und – wenn erforderlich – Signalwirkung betrifft, genau die Gestaltungsmerkmale aufweist, die für ein bestimmtes Kommunikationsziel erforderlich sind.

Achaz Prinz Reuss Das ist für mich unsere FF DIN. Sehr gut leserlich! Ein Global Player!

Damit wären wir auch am Ziel! Dankeschön für ein perfektes Interview! Es war sehr unterhaltsam mit Euch! Viel Glück und Erfolg weiterhin im typografischen Universum!

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Kommentare

Kommentar von Doris Schmidt |

Moin,moin ,sieh an, uns hat man damals gesagt, mit Schrift ist kein Geld zu verdienen. Gratulation. Doris Schmidt, früher Scangraphic, Wedel.

Kommentar von Albert Jan Pool |

Liebe Frau Schmidt,

wie schön nach all diesen Jahren wieder etwas von Ihnen zu hören. Falls Sie diese Zeilen lesen, nehmen sie gerne Kontakt mit mir auf. Ich würde mich sehr darüber freuen!

Viele Grüße, Albert-Jan Pool

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