Art & Design
Gängeviertel
Wie der Phönix aus der Asche
Aus der einstigen „Elendgegend“ ist ein pulsierendes, selbstbewusstes Viertel geworden. Hier ist die Streetart zuhause – nicht in einem Atelier mit Geschäftsleuten, die Champagnergläser in der Hand halten, sondern auf der Straße, für alle zugänglich.
Ohne Berührungsängste, mit viel Kreativität wird alles zu Kunst. Ein Gartenschuppen wird zu einem bunten Totenkopf, ein altes und verlassenes Ofenrohr bekommt rote Lippen, aus einer Satellitenschüssel strahlt ein Mondgesicht, Stückchen von alten CDs glitzern wie Strandgut auf der Wand neben einem Eingang. Das ganze wird „überwacht“ von einem 2-köpfigen, roten Drachen. Obwohl von dem Viertel nur noch ein paar Straßenzüge übrig geblieben sind, gibt es hier überall etwas zu entdecken. Wer glaubt, dass dieses Areal in einer Viertelstunde durchforstet ist, irrt sich. Von den Häusersockeln bis oben hinauf zu den Dächern sind die Wände mit Wandmalereien oder mit unterschiedlichsten Installationen geschmückt.
So kann man auch die wunderbaren Wandbilder des Original Gängeviertel-Künstler-Duos Low Bros bewundern, die eng angelehnt an das rote Emblem die kulturelle Vielfalt des Viertels darstellen. Ein Highlight ist sicherlich auch die „Schwarze Witwe“ des österreichischen Graffiti-Künstlers Nychos. Überall auf den Wänden und in den Eingängen gibt es etwas Neues zu entdecken.
Gebaut wurde das Viertel einst für die einfache arbeitende Bevölkerung, besonders für die Hafenarbeiter. Noch im 19. Jahrhundert war das Gängeviertel geprägt von Kriminalität, Krankheit und Armut. Durch die engen Gänge in dem verwinkelten Viertel und dem starken Zusammengehörigkeitsgefühl konnte die Polizei schwer durchgreifen. Da die Häuser feucht und voll Ungeziefer waren, und man die Fleete gleichzeitig für Abwässer und Trinkwasser genutzt hat, führte dies zu katastrophalen hygienischen Bedingungen. Das Resultat war die letzte große Choleraepidemie in Europa, bei der 1892 8.605 Hamburger starben.
Damals schrieb der Arzt Robert Koch an den Kaiser: „Eure Hoheit, ich vergesse, dass ich in Europa bin. Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie hier.“
Seither ist viel passiert. Nach der Choleraepidemie wurde das ganze Viertel saniert, viele Gebäude mussten abgerissen werden. Im Zweiten Weltkrieg gingen wieder viele Häuser verloren. Durch die weitere Stadtplanung mussten einige alte Gebäude neuen riesigen Neubauten weichen - das Viertel wurde immer kleiner.
Die paar verbliebenen Häuser verwahrlosten und der Streit zwischen der Finanzbehörde und unterschiedlichsten Investoren begann. 2008 hat ein holländischer Investor den Zuschlag der Stadt bekommen und im Sommer 2009 sollte mit Sanierungs- und Abrissarbeiten begonnen werden.
Doch im August 2009 wurde das Gängeviertel friedlich besetzt und die Stadt Hamburg kaufte es schließlich vom Investor zurück. Seitdem wird hier überall liebevoll saniert. Entstanden ist ein alternativer neuer Stadtteil voller Leben. Viele Studios, Ateliers, Bühnen für Musik und Performances, freche Läden und Cafés laden zum Verweilen ein, um das Leben auf der Straße zu genießen.
Viele Gebäude im Gängeviertel sind denkmalgeschützt – die alten Fachwerkhäuser und Industriegebäude bieten Architektur-Interessierten einen Blick in die Vergangenheit. Das Herzstück des Viertels ist die „Fabrique“. Auf fünf Etagen finden sich in großräumigen Ateliers viele Angebote – vom Siebdruck über ein Fotostudio bis hin zum Bewegungsraum, in dem zum Beispiel Yogakurse stattfinden. Mit seinen Kultur- und Bildungsangeboten ist sie auch das soziokulturelle Zentrum des Viertels geworden.
Die einstigen Besetzer des Viertels sind mittlerweile die Verwalter geworden. Die „Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG“ verwaltet die Häuser nach deren Sanierung.
Die Initiative „Komm in die Gänge“ setzt sich dafür ein, dass das Viertel auch in Zukunft für alle zugänglich bleibt. Ein nicht-kommerzieller, politischer, künstlerischer und sozialer Ort, wo unterschiedliche Menschen aufeinander treffen – ein „Ort kultureller Vielfalt“.
Quellen www.das-gaengeviertel.info · www.wikipedia.de
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