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Lutz Marmor
Was verschlägt „ne echt kölsche Jung“ nach Hamburg?
Herr Marmor, Sie sind ja gebürtiger Kölner...
Lutz Marmor Ja, das stimmt. Ich bin ne echt kölsche Jung, aber ich fühle ich mich schon als Hamburger. Hamburg ist inzwischen auch meine Heimat. Man kann zwei Heimatstädte haben. Es gibt den schönen Satz „Als echter Kölsche fühlst du dich überall zuhause“ und in Hamburg kann man sich sehr gut zuhause fühlen. Hamburg ist eine sehr weltoffene Stadt. Es gibt Zugezogene aus aller Herren Länder, man kann hier sehr gut leben.
Wann haben Sie Radio und Fernsehen bewusst in Ihrem Leben wahrgenommen?
Lutz Marmor Das verschwimmt in meiner Erinnerung. Ich kann mich natürlich an Radio erinnern, die Augsburger Puppenkiste, Lukas der Lokomotivführer. Ob das allerdings das erste Mal war, weiß ich nicht mehr. Und dann ist mir noch eine Jugenderinnerung geblieben: Es gab damals eine Show, die wollte ich damals eigentlich gucken, durfte aber nicht, weil es so spät war. Ich weiß nicht mehr, wie alt ich da war. Da habe ich immer versucht, durch das Schlüsselloch etwas mitzubekommen. Durch diese Verbote wird Fernsehen natürlich besonders begehrt. Deshalb würde ich niemandem empfehlen, seinen Kindern die Mediennutzung zu verbieten.
Gab es - seitens Ihrer Eltern - eine frühkindliche Prägung, die weichenstellend war? Welche Werte wurden Ihnen mit in die Kinderstube gelegt?
Lutz Marmor Darüber habe ich nachgedacht. Ich glaube so etwas wie Pflichtgefühl. Meine Eltern wollten damals, dass ihre Kinder noch mehr erreichen als sie und dass es ihnen besser ginge. Das war so in der Generation. Das haben die mir so mitgegeben, auch durch Vorbild. Mein Vater hat damals sehr viel gearbeitet. Ich komme ja aus dem Rheinland und dort bekommt man ganz automatisch so etwas wie Lebensfreude mit. Beides zusammen, neben Grundwerten wie Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, hat meine Jugend geprägt. Meinen Eltern verdanke ich durchaus viel und ich hatte eine glückliche Kindheit.
Hatten Sie oder Ihre Eltern irgendwann auch einmal Alternativvorstellungen hinsichtlich ihrer Berufswahl in dem Sinne, dass Sie vielleicht Arzt hätten werden wollen oder sollen?
Lutz Marmor Mein Vater war Eisenbahner mit Leib und Seele. Der hätte es glaube ich am liebsten gehabt, wenn ich bei der Deutschen Bundesbahn angefangen hätte. Ich habe BWL studiert, so dass ich das nach dem Studium durchaus hätte machen können. Aber ich wollte das nicht. Ich finde das Unternehmen Bahn zwar nach wie vor interessant, aber damals, als der Vater in so einem Unternehmen gearbeitet hat, fand ich das nicht prickelnd.
Wie stellt der NDR die Qualität seiner Programme sicher? Ab wann greifen Sie redaktionell ein?
Lutz Marmor Ich greife praktisch nie ein. Nur einmal musste ich eingreifen und entscheiden, dass wir Xavier Naidoo nicht zum ESC nach Stockholm senden. Ich finde die Rolle des Intendanten ist etwas anders. Ich verstehe mich als Möglichmacher. Ich muss versuchen rechtliche Freiräume zu schaffen, der Redaktion den Rücken freizuhalten, muss dafür sorgen, dass wir die besten Leute bekommen und bei uns halten. Was natürlich nicht immer gelingt - die Konkurrenz schläft ja nicht. Wir haben außerdem ein ganz wichtiges Prinzip, das sich innere Rundfunkfreiheit nennt, die Redaktionen müssen – im Rahmen der Gesetze und der journalistischen Freiheit – eine innere Freiheit haben. Die Arbeit wird in den Redaktionen gemacht und sie müssen viel eigene Verantwortung übernehmen. Natürlich diskutiere ich mit den Leuten hinterher, was mir gefällt, und was nicht, aber ich kennzeichne dies immer ausdrücklich nicht als Anweisung.
Das Radio ist für die Norddeutschen ein wichtiger Begleiter durch den Tag. Knapp sieben Millionen Hörerinnen und Hörer entscheiden sich täglich für den NDR. Was sind die Gründe für diesen Erfolg und wie konnte der Vorsprung zu den Privaten vergrößert werden?
Lutz Marmor Radio ist ein total spannendes Medium. Radio erreicht die Menschen akustisch. Man kann die Augen schließen, aber nicht die Ohren. Im Radio hören sie Musik und plötzlich finden sie diesen Titel ganz toll. Oder Sie hören wegen eines Themas, das sie interessiert zu und man wird unmittelbar überrascht. Radio ist auch ein Tagesbegleiter – im Bad am Morgen bis hin zur Fahrt mit dem Auto. Radio ist schnell, aktuell und hat die Mischung aus Musik, Information und Unterhaltung, die viele Menschen mögen. Wir haben sehr gute Leute, die top ausgebildet sind und davon leben wir in Radio und Fernsehen. Und wenn man diese Leute machen lässt, hat man am Ende Erfolg. Wir haben eine breite Senderauswahl, bei der jeder Hörer einen passenden Sender für seine Interessen finden kann. Der NDR hat zurzeit einen Marktanteil von ca. 50% im Norden, wobei es immer auch ein Auf und Ab gibt. Wir haben natürlich in jedem regionalen Gebiet starke Konkurrenz. In jedem Sendegebiet gibt es starke private Radiosender, die ein gutes Programm machen. Diesen Wettbewerb muss man akzeptieren und wir geben uns größte Mühe, dem Anspruch „NDR – das Beste am Norden“ gerecht zu werden.
Auch beim Fernsehen sieht es nicht anders aus: Auch die Tagesschau hat ihre Position als erfolgreichste Fernseh-Nachrichtensendung weiter ausgebaut. Liegt es allein an der Vorgabe Nachrichten verlässlich, seriös und ohne Effekthascherei zu präsentieren?
Lutz Marmor Das ist der Kern der Tagesschau. Ich glaube der Erfolg der Tagesschau liegt darin, dass sie Ihrem Kern über Jahrzehnte treu geblieben ist – seriöse, verlässliche, politische Informationen auf den Punkt und ohne viel Schickschnack zu präsentieren. Diese bekannte Marke über die Jahre in der Balance zwischen den Grundsätzen bis hin zu der notwendigen optischen und sprachlichen Veränderung zu halten, ist wirklich eine tolle Leistung. Eine für viele unübersichtliche Welt mit all ihren Krisen und Katastrophen ist natürlich auch ein Grund, weshalb die Leute verstärkt an seriösen Nachrichten interessiert sind. Obwohl die Menschen bereits viel über das Internet oder Radio tagsüber mitbekommen, schalten sie trotzdem am Abend die Tagesschau ein, um wirklich noch einmal seriöse Informationen zu bekommen.
Qualitätsjournalismus ist personal- und damit kostenintensiv. Macht es sich weitestgehend bezahlt, diesen Weg konsequent zu verfolgen?
Lutz Marmor Ich glaube, Qualität zahlt sich aus. Die Leute können von ihren Rundfunkbeiträgen erwarten, dass wir die bestmöglichen Informationen bieten. Sie müssen sich darauf verlassen können. Wir recherchieren, haben immer das 4-Augen-Prinzip, haben hervorragende Journalisten, die die Grundprinzipien des Journalismus verinnerlicht haben. Wir haben weltweit neben der BBC das größte Auslandskorrespondentennetz. Wodurch wir von den eigenen Leuten vor Ort möglichst gute Informationen aus der ganzen Welt bekommen. Dann hat die ARD noch einen Vorteil. Wir sind regional organisiert, das heißt, die Tagesschau wird zwar hier in Hamburg redaktionell verantwortet, aber die Beiträge kommen aus den Regionen.
Was wollen Sie in der verbleibenden Amtszeit noch erreichen?
Lutz Marmor Wir sind in einem großen Umbauprozess. Wir wollen zusätzliche Ressourcen erschließen. Der NDR möchte noch mehr tri-medial produzieren und wir wollen die Nachrichtenproduktionen bündeln. Dafür müssen Kolleginnen und Kollegen umziehen und es müssen neue Workflows erstellt werden. Wir haben uns ein Programm verordnet, das „Kompass 2022“ heißt, in dem wir unsere Ziele bis 2022 festgelegt haben. Auf der ARD-Ebene haben wir den Ländern und den Beitragszahlern versprochen, dass wir tiefgreifende Reformen in der Verwaltung und Produktion umsetzen, wie zum Beispiel eine einheitliche IT Struktur zu schaffen.
Wie ordnen Sie den heutigen Stellenwert des NDR als Wirtschaftsfaktor in Hamburg ein?
Lutz Marmor Ich denke schon, dass wir für Hamburg ein wirklich wichtiger Wirtschaftsfaktor sind. Wir sind auf Platz 23 unter den 200 größten Betrieben der Stadt, wenn man es an der Zahl der Arbeitsplätze misst. Da wir auch für ganz Norddeutschland eine Institution sind und eine Tagesschau haben, die von der gesamten ARD bezahlt wird, sind wir sicherlich ein wichtiger Teil von Hamburgs Wirtschaft.
Jeder Intendant weiß, dass periodisch immer wieder das Problem auftaucht, ob die Gebühren noch zeitgemäß und angebracht sind und eine Gebührenerhöhung auch tatsächlich zu rechtfertigen ist. Andere Gebühren werden in unserem Land zwar auch wie selbstverständlich erhöht, nur bei den Rundfunkgebühren ist das ganz offenbar nicht so selbstverständlich. Die Frage ist also, ob die jetzigen Gebühren ausreichend sind, wenn auf der anderen Seite alles immer teurer wird und der NDR scheinbar horrende Gehälter, Abfindungen und Renten zahlt?
Lutz Marmor Das ist immer eine schwierige Frage. Dass wir innerhalb der Branche außerhalb der Range liegen, stimmt mit Sicherheit nicht. Im Gegenteil ist es sogar so, dass wir Verlässlichkeit und bessere Langfristigkeit bieten können, aber oft sind wir nicht top bei den Gehältern. Die Gehälter setzen wir ja auch nicht selbst fest, wir haben Tarifverträge, die mühsam ausgehandelt werden. Wichtig ist doch eigentlich Folgendes: Für unter 60 Cent am Tag nutzen die Leute das Angebot in Deutschland im Schnitt drei Stunden und 20 Minuten. Das geht natürlich nur, weil jeder zahlen muss. Ich finde, da kann man auch sagen, dass wir diesen Beitrag wert sind. Die gute Botschaft ist, dass der Beitrag bis 2020 stabil bleibt. Ab 2021 streben wir einen Inflationsausgleich an. Ich finde diese Forderung nach wie vor vertretbar. Unsere Verpflichtung ist es natürlich, ordentlich mit dem Geld umzugehen.
Hat der umstrittene Eurovision Song Contest als Unterhaltungsformat noch eine Daseinsberechtigung?
Lutz Marmor Ich finde nicht, dass der ESC umstritten ist. Das einzige, was uns nicht zufrieden stellt ist, dass wir mit den deutschen Beiträgen nicht so erfolgreich sind. Der ESC ist immer noch die meistgesehene Unterhaltungssendung im deutschen Fernsehen. Wir haben sehr viele junge Zuschauer. Der ESC ist immer noch Kult. In der Halle selbst merkt man, Europa lebt und das finde ich besonders toll am ESC. Alle feiern sich gegenseitig und es herrscht eine tolle Atmosphäre.
Den wichtigsten deutschen Musikpreis „Echo“ wird es nach dem Skandal um Kollegah und Farid Bang nicht mehr geben. Wie sehen Sie die Entscheidung, die der Vorstand des Verbandes der Musikindustrie getroffen hat?
Lutz Marmor Ich denke, die Entscheidung war richtig. Ich kann nicht verstehen, warum der Ethikbeirat kein Problem damit hatte. Wenn Sie mit unserer Vergangenheit solche Texte hören, geht das schlicht und einfach nicht. Natürlich sitzt das Problem tiefer. Man muss sich natürlich generell fragen, warum solche Lieder so erfolgreich sind. Aber alles Negative hat auch etwas Gutes. Dadurch wird dieses Problem nun diskutiert.
Auf welche neuen Projekte/Sendungen kann der Hörer und Fernsehzuschauer gespannt sein?
Lutz Marmor Die Zuschauer können auf ganz viel gespannt sein. Für viele Menschen wird ganz klar das größte Ereignis die Fußball Weltmeisterschaft sein. Diese wird in gewohnter Qualität im ARD und ZDF übertragen. Im Sport werden wir etwas Neues haben. Im August senden wir die sogenannten European Championships. Man hat versucht die Europameisterschaften zu bündeln. Davon erhoffen wir uns einen Effekt, wie man ihn auch bei Olympia erleben kann. Ich kann natürlich nur eine Auswahl nennen, aber wir werden auch wieder tolle Dokumentarfilme haben und auch auf unsere neue Mediathek können die Leute sich freuen. Diese wird zeitgemäßer sein und im Laufe des Jahres erscheinen.
Zu guter Letzt noch ein paar persönliche Fragen: Sie waren ein begeisterter Basketballspieler, Coach, Trainer und Schiedsrichter, würden Sie nochmal für einen guten Zweck mitspielen?
Lutz Marmor Jederzeit, aber mein Knie würde das nicht mehr mitmachen. Mir fehlt ein Kreuzband, weshalb Basketballspielen leider etwas schwierig werden würde.
Wer ist Ihr Lieblingsschauspieler/Schauspielerin?
Lutz Marmor Es gibt sehr viele großartige Schauspieler, die ich brillant finde. Ich könnte Ihnen sehr viele nennen, aber ich möchte keinen hervorheben.
Auf was würden Sie in Ihrem Leben nicht verzichten?
Lutz Marmor Auf Freiheit und Liebe.
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