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Christian Rach
Vom Starkoch zum Podcast-Star
Christian, die erste Frage liegt ja auf der Hand: Wie bist du überhaupt zur Kochkunst gekommen?
Christian Rach Also sagen wir mal eher zum Kochen, nicht zur Kochkunst, bin ich während meines Studiums gekommen. Alle vier Geschwister hatten eine bestimmte Summe von unseren Eltern, um unsere Ausbildung oder das Studium zu finanzieren, den Rest mussten wir selbst erwirtschaften. Das war völlig normal. So habe ich während des Studiums häufig in einer Küche gestanden, um mir meine Brötchen und die Miete dazu zu verdienen.
Warum hat es dich in die Küche verschlagen?
Christian Rach Gute Frage. Die meisten meiner Mitstudierenden haben gekellnert, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, das habe ich eher selten gemacht.. Ich habe eben immer wahnsinnig gerne gekocht und wenn ich gekocht habe, war die Hütte voll. Dann kam mein Schicksalstag...
Da bin ich jetzt mal gespannt...
Christian Rach Ich saß mit einer damaligen Freundin im vielleicht damals besten Restaurant der Stadt, dem Le Delice in der Markthalle am Hauptbahnhof. Ich war mitten im Examen und ich wollte mir etwas Gutes tun. Das Geld hatte ich mir vorher zusammengespart. Mein Motto damals wie heute: Lieber einmal gut essen gehen als fünf Mal irgendwo schlecht zu essen. Geführt wurde das Restaurant übrigens von Werner Henssler, dem Vater von Steffen Henssler, und Axel Henkel, einem kongenialen, kreativen Duo. Dieser Besuch war mein Erweckungserlebnis: Im Le Delice habe ich die Unendlichkeit auf dem Teller entdeckt. Arrogant wie ich damals war, mit langem Haar und Feder im Ohr, dachte ich, schon kochen zu können. Aber was ich an diesem Abend erlebt habe, das war eine Offenbarung. Ich war vollkommen geflasht.
Es war also so etwas wie eine Lektion in Demut. Was geschah dann?
Christian Rach Am nächsten Tag bin ich dorthin gepilgert und habe mich vorgestellt. „Ich will so kochen können wie ihr, ich habe gestern Abend gemerkt, dass es zwischen dem was ich kann und was ihr könnt, noch Welten gibt.“ Leider haben sie mich nicht genommen, weil es keinen Platz mehr in der Küche gab. Aber sie haben mich dafür an einen Kollegen vermittelt. Dort hatte ich dann fünf Tage in der Woche abends gearbeitet und zwei weitere Tage am Wochenende in der Filmhaus-Kneipe, die gerade eröffnet hatte. Irgendwann wurde ich dann Küchenchef fürs Wochenende. Das ging eine ganze Weile so weiter: Tagsüber in den Hörsaal, abends in der Küche des Restaurants, am Wochenende war ich Küchenchef in der Filmhauskneipe...
Da schließt sich gleich meine weitere Frage an: Ab wann, ab welchen Erfahrungswerten meinst du, kann ein Mensch gut kochen?
Christian Rach Das ist eine gute und auch schwierige Frage. Es gibt keinen einheitlichen Gradmesser für gutes Kochen. Wenn du ein Stück Fleisch oder ein Stück Fisch brätst, und du kriegst beides immer wieder so hin, dass es dir selbst und deinen Freunden oder Gästen schmeckt, kannst du schon als guter Koch gelten. Aber professionelles Kochen hat damit nichts zu tun.
Womit sonst?
Christian Rach Kochen ist Handwerk, plus ein abstrakter Prozess, der im Kopf stattfindet. Und dieser Prozess ist nie zu Ende, sondern ein dynamischer Weg ständiger Weiterentwicklung, unabhängig vom „Handwerkszeug eines Kochs“: Ich muss mit dem Messer umgehen können, darf keine Angst vor Hitze haben und muss beispielsweise wissen, wann ein Stück Fisch oder das Gemüse APO ist, also auf dem Punkt, wie ich aus dem Sellerie nicht nur ein Schnitzel mache, sondern auch ein Pürree. Kochen ist ein handwerklich kreativer Akt, der mich als Koch immer wieder neu herausfordert, Dinge zu kombinieren, zu überraschen und sich Neuem gegenüber offen zu zeigen, ohne die Wurzeln zu verlieren.
Sehen das deine Kollegen auch so?
Christian Rach Das weiß ich nicht. Sicherlich ist es dem ein oder anderen auch zu anstrengend immer dranzubleiben. Es gibt schon sehr viele Restaurants, die setzen ihren Gästen immer wieder dieselben Gerichte vor. Sie sind eingeschlafen, die haben oft sogar Angst vor dem Gast, vergessen ihre Weiterentwicklung und wundern sich dann, dass es irgendwann nicht mehr läuft. Wenn man aber Angst vor dem Urteil des Gastes hat, wenn man seine Speisekarte mal neu erfinden würde – ohne seine Identität zu verlieren –, hat man vermutlich keine Chance mehr.
Ist das der Grund, warum viele Restaurants nicht lange überleben?
Christian Rach Ja, das könnte man so sagen. Dazu habe ich auch gleich ein Beispiel: In Hamburg hat gerade die LEGO Science eröffnet. Warum erwähne ich das? LEGO, diese Marke aus Dänemark, ist nur deshalb eine Weltmarke geworden, weil sie sich mit ihrem Sortiment ständig dem Zeitgeist angepasst hat oder besser gesagt, den Zeitgeist mitbestimmt hat. Genauso ist es mit guten Restaurants: Sie müssen ihr Konzept dem Zeitgeist anpassen bzw. ihn mitbestimmen. Die Kunst ist es, die Gäste nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern so mitzunehmen, dass sie die Veränderungen positiv wahrnehmen, so dass es immer spannend bleibt: für die Gäste als auch für die Mitarbeiter..
Welche kulinarischen Einflüsse prägen deine heutigen Kochkünste?
Christian Rach Sicher die französische Küche. Ich habe länger in Frankreich gearbeitet bei einem großen Küchenchef und habe dort natürlich die französische Kochküche kennengelernt. Ich habe in Österreich länger gearbeitet, vor allem in Wien, und dort habe ich die klassische Küche kennengelernt. Diese Vermählung aus klassischem Handwerk – also Milzschnitte, Tafelspitz oder Schmorbraten aus Österreich – mit raffinierten Speisen oder Zubereitungsformen aus der italienischen, französischen oder asiatischen Küche, verschmolzen zu einem Pool an kreativen Möglichkeiten für die Komposition neuer Speisen und Menüfolgen.
Was ist für dich das wichtigste Element, um ein gutes Gericht zuzubereiten?
Christian Rach Der Kopf. Ein guter Koch oder eine gute Köchin schmeckt das Gericht im Kopf, dann geht es an die Arbeit. Bis ein innovatives und dann hoffentlich reproduzierbares Gericht in einem der besten lokalen Restaurants auf dem Teller ist, kostet es den Koch viel Zeit und Arbeit. Dafür brauchst du zunächst die Vision: Du musst das Gericht im Kopf schmecken, du musst eine Vorstellung von dem haben, was du haben willst in der Entstehung und Entwicklungsphase. Bis das Gericht dann tellerreif ist, durchgeht es viele Prozesse. Du musst beispielsweise immer die Physik berücksichtigen, um genau das zu erzeugen, was dir im Kopf vorschwebt.
Gibt es gute Qualität nur in der Sterneküche?
Christian Rach Nein. Wer in der Lage ist, eine gute Bratkartoffel zu machen, ein Roastbeef, das auf dem Punkt ist und die Fleischqualität hervorragend ist, die Remoulade dann noch selbst gemacht ist und dazu ein frisch gezapftes Bier serviert, kann bei den Gästen ähnliche Glücksmomente erzeugen wie beim Essen in einem 3-Sterne-Lokal. Ich war beispielsweise gerade in Italien, da habe ich einmal mit meiner Tochter und meiner Frau auf der Mole gesessen, eine Super-Pizza auf der Hand, eine kleine Flasche Bier dazu gehabt und gedacht: Mehr geht nicht, das sind Glücksgefühle pur, weil die Qualität auf allen Ebenen stimmt.
Bei deinen Gastro-Empfehlungen bist du ja häufiger auch mal so auf Gegenwehr gestoßen. Wie gehst du selbst mit Kritik um?
Christian Rach Also ich erlebe heute im Land unabhängig von der Gastronomie, dass wir unsere Kritikfähigkeit verlieren. Was bedeutet Kritikfähigkeit? Ich muss eine Sache artikulieren können, um sie zu kritisieren, und die Artikulation sollte stringent sein, nicht aus der Emotion heraus. Beispiel: Ich hatte einen sehr stressigen Tag, habe mich gestritten mit irgendjemand, komme ins Restaurant, werde 20 Sekunden nicht beachtet oder vermeintlich nicht beachtet, gehe mit meinem Handy zur Toilette und poste gleich wie schlecht doch der Laden ist. Das hat nichts mit Kritik zu tun, wir verwechseln heute Emotionalität und sofortiges Posten mit Kritik. Echte Kritik ist immer berechtigt und sollte oder kann auch kundgetan werden. Gleichzeitig muss man natürlich auch zulassen, dass man selbst kritisiert wird. Und daran hapert es dann oft: ich habe immer wieder beobachtet: Wer gern austeilt, ist selbst oft überhaupt nicht in der Lage, Kritik zu ertragen.
Kommen wir zu deinen Kochshows: Welche kulinarischen Trends siehst du zurzeit und wie versuchst du die in deiner Show mit aufzugreifen?
Christian Rach Nachhaltigkeit ist ein Mega-Trend. Gerade viele Spitzenrestaurants verschreiben sich der grünen Küche. Die Zeiten der Filet-Fresserei sind Gott sei Dank vorbei, das heißt also nur das reine Stück, das vermeintlich edle Teil des Tieres zu benutzen. Das geht heute guten Gewissens nicht mehr, was richtig ist, und wichtig ist. Wenn wir schon Tiere essen dann sollten wir das ganze Tier benutzen und damit auch ehren und es auch benennen. Was passiert denn sonst mit einem Rinderhals, was passiert mit der Schulter, was passiert mit den Innereien? Darüber wollen die Leute nicht nachdenken, das wollen sie auch nicht wissen. Ich sage, dann esst auch kein Fleisch! oder Fisch, wenn ihr nur ein kleines bestimmtes Teil von dem Tier haben wollt und der Rest einfach entsorgt werden soll. Dann lieber als Vegetarier leben und Respekt vor der Natur zeigen.
Geht das Konzept der Nachhaltigkeit nicht weit über die ganzheitliche Verarbeitung eines Tieres und das Storytelling hinaus?
Christian Rach Ja, es bedeutet natürlich auch, den Einkauf zu digitalisieren, zu organisieren, die Lieferanten zu briefen, um zu wissen: woher kommt was? Und natürlich auch so einzukaufen, dass du nichts wegschmeißt. Ein weiterer kulinarischer wie nachhaltiger Trend ist die Konzentration auf die saisonale, regionale Küche, wie in meinem neuen Kochbuch zur deutschen Küche beschrieben („Deutsche Küche“ von Christian Rach). Beispiel Regionalität: Über den Klimawandel haben wir heute auch Hirse-Anbau in Mecklenburg-Vorpommern, wir können Quinoa aus dem Münsterland beziehen, wir müssen es nicht um die ganze Welt schicken, um es hier zu haben. Und es ist eine gute Alternative zu Hackfleisch, wenn wir damit beispielsweise eine Paprikaschote füllen. Wir müssen also nicht vollständig auf Fleisch verzichten, aber wir können Alternativen aufzeigen, dass wir Fleisch und Fisch nicht brauchen, um köstlich zu essen: Das ist Nachhaltigkeit.
Wie könnte die Alltagsgastronomie von den Spitzenköchen lernen?
Christian Rach Sie sollten auf traditionelle, einfache Gerichte setzen, kreativ und mit bestem Handwerk umgesetzt. Das könnten sie von der Spitzenküche lernen. Jetzt ist beispielsweise Pilzzeit. Eine Kalbs- oder Schweinebrust mit mit Steinpilzen und Pfifferlingen füllen, dazu Brot und Rührei mit hinein, dann drei Stunden saftig schmoren und als Tellergericht anbieten. Es sind grandiose simple Gerichte, es ist kaum Fleisch dabei, in dem Beispiel dient Fleisch nur als „Hülle“ für die Füllung, die sich mit diesem köstlichen Schmorsaft vollsaugt. Wir haben viele Gastronomen, vor allem auf dem Land, die machen vor wie es gehen kann, auch ohne Fleisch und Fisch köstliches zu zaubern. Wir müssen dahin kommen, dass solche einfachen, raffinierten Rezepte nicht nur von der Gastro-Spitze gekocht werden, sondern dass sie wieder in den Speisekarten der Alltagsgastronomie zu finden sind.
Du machst seit drei Jahren einen Podcast („Bosbach & Rach - Die Wochentester“) mit Wolfgang Bosbach. Wie läuft er an?
Christian Rach Fantastisch. Wir haben bereits über 700.000 Abonnenten – und das für einen politischen Podcast. Wir bringen spannende Leute vors Mikrofon. Z.B. Minister aus Berlin, Parteivorsitzende oder solche die es werden wollen, Schriftsteller oder Wissenschaftler– wir sprechen mit vielen tollen Menschen und das macht unglaublich viel Spaß. Wir haben einen wahnsinnig großen Zulauf, damit aber auch große redaktionelle Arbeit. Dafür musst du immer gut vorbereitet sein, du kannst deinem Gegenüber, egal ob Wissenschaftler, Politiker oder Schriftsteller kein dummes Zeug erzählen oder fragen. Auch hier schlagen wir den Bogen zur Nachhaltigkeit, denn wir stoßen sehr viele Denkprozesse an.
Du bist Mitte 60. Welche Ziele hast du jetzt im Rentenalter noch?
Christian Rach Auf keinen Fall werde ich noch ein Restaurant eröffnen, falls das der Hintergrund deiner Frage war. Nein, da habe ich alles erreicht, was man erreichen kann und bin seit zwölf Jahren hier unten im Hafen, fast 13 Jahre in meinem Büro und liebe das hier, es ist mein Denkort. Ich bin ein unruhiger Geist und finde es faszinierend, immer wieder neue Dinge zu tun. Für mich ist es wichtig, so lange wie möglich aktiv zu bleiben. Das Entscheidende ist jetzt die Gesundheit, das Wohlfühlen und die geistige Beweglichkeit. Dazu gehören für mich Sport, sprich Yoga, gesunde, abwechslungsreiche Ernährung und ein soziales Umfeld: Familie und Freunde, die tragen und Sicherheit geben.
Rach präsentiert die Vielfalt der deutschen Esskultur.
Was lieben wir Deutschen auf dem Tisch? Welche Produkte gehören zu uns? Was ist unser kulinarisches Erbe und wie gehen wir damit um? Und wie sieht man uns in Frankreich, Italien, Großbritannien oder auch Japan? Ein Versuch, deutsche Klassiker in die Moderne zu überführen, ohne ihre Seele zu verlieren
Deutsche Küche: 170 Rezepte aus ganz Deutschland
Gebundene Ausgabe, 416 Seiten
Verlag: Südwest Verlag
ISBN 978-3517102191
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