Food & Beverage
Tim Mälzer
Über Leidenschaft, Leben und außergewöhnliche Kochkunst
Veröffentlicht
Autor
Gunnar Henke
Fotos
Philipp Rathmer, Beate Zoellner , Reinhard Hunger
Tags
Food & Beverage
Interview
Tim, du bist der bekannteste Koch Deutschlands. Du hast bereits eine beeindruckende Karriere in der Gastronomie hinter dir. Was hat dich dazu inspiriert, Koch zu werden und welche Rolle spielt Essen für dich persönlich?
Tim Mälzer Koch zu werden war ursprünglich ein Zwischenschritt in meiner Karriere. Ich wollte eigentlich Hoteldirektor werden im Hotel InterContinental in Hamburg und da gab es verschiedene Wege und ich habe dann die Kochausbildung angefangen, weil das mein Hauptinteresse in der Ausbildung war. Ich hatte Abitur und habe für mich schnell festgestellt, dass die reine theoretische Arbeit nichts für mich ist. Ich wollte immer ein breites Betätigungsfeld haben und das ist als Koch hundertprozentig gegeben. Ich hatte dann einfach das große Glück, dass ich den damaligen Küchenchef Helmut Helwig kennengelernt und zu ihm ein Vater-Sohn-Verhältnis aufgebaut habe. Es war eine Art Hassliebe. Ich war halt so, wie ich bin, habe eine große Schnauze gehabt, Dinge hinterfragt und einen Humor, der manchmal auch wehtut und das hat mir nicht nur Freunde gemacht. Aber ich war immer sehr, sehr fleißig. Ich habe immer gearbeitet und ich habe mich auch nie gescheut, etwas anzupacken, wo es etwas anzupacken gab, und das hat er geschätzt. Außerdem war ich wissbegierig, das hat er ebenfalls geschätzt, und er hat versucht, mir mein Schandmaul auszutreiben, was ihm allerdings mäßig gelungen ist (lacht). Aber im Nachhinein, nach der Ausbildung, hat uns auch eine große Freundschaft verbunden und das ist auch eines der Dinge, die mich bis heute am meisten bewegen. Ich bin die Summe meiner Lehrer und ich hatte viele nicht sehr gute Lehrer, aber ich hatte eben auch zwei bis drei sehr, sehr gute Lehrer oder Mentoren, die trotz meiner Persönlichkeit immer gesehen haben, dass auch etwas dahintersteckt. Ich durfte immer ein bisschen mehr als die anderen, weil ich auch immer mehr gemacht habe.
Du bist nicht nur Koch, sondern auch als Fernsehkoch und Autor bekannt. Was treibt dich an und motiviert dich, dein Wissen, deine Leidenschaft zum Kochen mit dem breiten Publikum zu teilen?
Tim Mälzer Früher war es für mich die Motivation am Herd gute Küche allgemein zugänglich zu gestalten. Ich hatte einen gewissen Karriereweg, ich war relativ gut, ich habe eigentlich fast alle Auszeichnungen und Preise in der Ausbildung gewonnen, die man gewinnen konnte. Ich bin in die gehobene Sterne-Gastronomie gegangen und auch nach England und da habe ich für mich festgestellt, dass mich die Art und Weise des Kochens zwar befriedigt, allerdings habe ich nie gesehen, für wen ich koche, das hatte mich gestört. Dann hatte ich aber das große Glück, Gennaro Contaldo kennenzulernen, der bei mir praktisch die Passion, also wirklich die Leidenschaft fürs Kochen, rausgekitzelt hat. Und dann habe ich relativ schnell und früh für mich festgestellt, dass ich Gastronomie ohne Hemmschwelle haben möchte. Also einen Gastro-Club ohne Türsteher, keine Selektion nach Haarfarbe, Hautfarbe, nach Einkommen oder Bildungsstand. Ich habe meine Aufgabe stattdessen immer so verstanden, dass ich Menschen begeistere, die noch gar nicht wissen, dass ich sie begeistern kann und das treibt mich auch heute noch an: Dass ich das große Feld der Kulinarik immer so vielen Menschen wie möglich anbieten möchte. Das ist wiederum mit vielen Fragen verbunden, die aufkommen: Angenommen, du stellst mir ganz nebenbei eine Frage zum Thema Kochen. Dann wird dadurch ein ganzer Denkprozess bei mir ausgelöst und ich frage mich, ob es da vielleicht einen Bedarf gibt, quasi eine Wissenslücke, die ich schließen könnte. Und diese gab es definitiv vor 20 Jahren. Da war das unbeschriebene weiße Blatt eben das entspannte Kochen für jedermann, und nicht nur für im Kochclub engagierte, überambitionierte Hobbyköche; der Grundgedanke war, wirklich Kochen in den Alltag zu bringen. Heute kann man zwar sagen, dass das im Alltag passiert. Aber ich beobachte auch, dass sich das klassische Familienmodell aufgelöst hat und dass wir das Thema Ernährung und Kochen auf viele Schultern verteilen müssen und nicht wie früher auf eine Person im Haushalt.
Tim, als erfolgreicher Koch und Unternehmer bist du sicherlich vielen Herausforderungen begegnet. Wie gehst du persönlich mit Rückschlägen um, aus welchen Lektionen hast du gelernt?
Tim Mälzer Also Rückschläge finde ich generell wirklich positiv, solange ich sie selber zu verantworten habe. Die Coronakrise, die hat mir schwer zugesetzt, auch mental. Diese Hilflosigkeit, auf einmal aus dem eigenen Entscheidungsbereich rausgeholt worden zu sein – was da passiert ist, hatte ich nicht zu verantworten. Trotzdem musste ich die Verantwortung übernehmen, das war sehr, sehr anstrengend. Abgesehen davon kann man schon sagen, dass ich zu jeder guten Idee mindestens zehn schlechte habe. Und solange ich diese Ideen, wenn sie in die Umsetzung kommen, selbst finanzieren kann und ich dabei nicht andere Kollateralschäden hinterlasse, also andere Leute mit runterziehe, finde ich das sogar sehr, sehr gut. Ich bin wahnsinnig mutig und wahnsinnig dumm, in ganz vielen Bereichen, diese positive Dummheit hat auch dazu geführt, dass ich die Bullerei gemacht habe. Wenn ich die nicht hätte, wäre ich wahrscheinlich bei ganz vielen Punkten vorher schon längst ausgestiegen, weil die Risiken schon extrem groß waren, die wir hier anfangs gehabt haben. Ein gutes Beispiel ist meine Idee, in New York ein Restaurant zu eröffnen. Da bin ich damals sehr naiv rangegangen und habe da ein ganz tolles Projekt vorangetrieben. Ich habe es geschafft, in New York eine Fläche anzumieten. Ich habe es geschafft, ein Netzwerk aufzubauen. Ich habe es geschafft, ein Konzept auszuarbeiten. Was ich jedoch nicht geschafft habe war, dass dann auch schlussendlich in die Tat umzusetzen. Da war ich aber wiederum schlau: Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon sehr viel Geld investiert, doch wie beim Pokerspiel, wenn das zweite Blatt nicht gut ist, musst du auch manchmal schmeißen. Ich betrachte das überhaupt nicht als Rückschlag. Ganz im Gegenteil, das ist Teil meiner Erfahrung, also wenn wir nicht experimentieren würden, wenn wir nicht ausprobieren würden, wären wir nicht mutig. Dann wären wir alle jetzt nicht an dieser Stelle.
In den letzten Jahren haben sich die Essgewohnheiten vieler Menschen stark verändert, sei es durch Trends wie vegane Ernährung oder das verspätete Interesse an regionalen Produkten.
Tim Mälzer An dieser Stelle würde ich vegane Ernährung allerdings nicht als Trend bezeichnen, sondern vielmehr als intelligente Entscheidung.
Ja, da hast du recht. Wie siehst du die Zukunft der Gastronomie und welche Trends erwartest du in den kommenden Jahren?
Tim Mälzer Grundsätzlich gewinnt die vegane Ernährung immer mehr an Bedeutung in unserem Alltag. Denn der Ansatz eines vermeintlichen Verzichts in der veganen Küche gehört für mich der Vergangenheit an. Wenn man darüber nachdenkt, ist zum Beispiel eine gute Pasta mit Tomatensoße vegan. Auch Pommes mit Ketchup sind vegan, obwohl es auf den ersten Blick nicht unbedingt nach typisch veganem Essen klingt. Ich glaube, dass sich dieser Blick langsam verändert, aus verschiedenen Gründen. Sei es aufgrund von Kostenstrukturen oder auch durch die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, und wie wir durch unser Konsumverhalten Einfluss auf die Umwelt nehmen. Dieser Trend wird immer breiter. Ein Trend, den ich jedoch mit Besorgnis beobachte, sind die steigenden Mietpreise. Diese führen dazu, dass Wohnungen immer kleiner werden und weniger Raum für Gäste bieten. Das wiederum führt dazu, dass man häufiger auswärts essen gehen muss, was oft zu einer Zunahme des Konsums von Fast Food führt, anstatt zu einer besseren Ernährung. Ich glaube auch, dass immer mehr Menschen beim auswärts Essen weniger Zeit in den Lokalen verbringen. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Spitzenrestaurants verschwinden werden, denn sie bieten ein Erlebnis ähnlich wie Opern oder klassische Konzerte, was eine bestimmte Gruppe von Menschen immer noch zu schätzen wissen wird. Aber der Alltag der Gastronomie wird immer mehr zu einem In-and-Out-Erlebnis. Man kommt, isst, steht auf und geht wieder nach Hause, ohne dass es ein großes Ereignis ist, so wie es vielleicht früher war.
Du engagierst dich auch in sozialen Projekten und setzt dich für bessere Ernährungsbildung ein. Warum ist dir das wichtig, dich gesellschaftlich so zu engagieren und welche Rolle spielt oder kann Essen dabei spielen, soziale Probleme auch anzugehen?
Tim Mälzer Ich bin der Meinung, dass diejenigen, die besser situiert sind – aus welchen Gründen auch immer – eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft haben, in irgendeiner Form ihr Können und ihr Wissen weiterzuvermitteln. Und so funktioniert eine Gesellschaft, indem Stärken miteinander verbunden und Schwächen gegenseitig ausgeglichen werden. Ich habe die kulinarische Kompetenz, ein Sportwissenschaftler wird jedoch nicht mehr aus mir. Aber ich glaube, dass der Esstisch der größte beziehungsweise kleinste gemeinsame Nenner ist. Im Bereich der Musik haben wir Geschmäcker, auch in der Mode und der Kunst haben wir Geschmäcker.
In der Kulinarik ist es so, dass das Angebot meistens so groß ist, dass ein jeder und eine jede erstmal an dieser Stelle grundlegend befriedigt wird. Alleine aufgrund der Auswahl. Hinzu kommt, und ich finde, dass das eine gemeinsame Mahlzeit schafft, dass dabei ein bisschen Ablenkung geschaffen wird, um Raum füreinander zu bekommen, sodass man sich auf den anderen einlassen kann. Ich finde, man streitet nirgends schöner als beim Essen, ich finde man lacht nirgends schöner als beim Essen. Wir beide sind jetzt ganz fokussiert. Würden jetzt hier aber noch acht andere Leute dabei sein, würden wir über das Essen eine Situation schaffen können, Netzwerke zu bilden, dass sich Menschen miteinander auseinandersetzen. Ich komme gerade von einem Kochenevent, bei dem ich quasi als Koch für einen wohltätigen Zweck ersteigert wurde. Da waren 15 Personen, die ich so in dieser Form niemals kennengelernt hätte. Aber in dieser Kürze der Zeit, sind schon wieder Ideen entstanden, sind schon wieder Netzwerke entstanden, wurde schon wieder kommuniziert. Und daran glaube ich ganz fest: Ich glaube, dass auch in der Familie der Esstisch eine zentrale oder die Mahlzeit zumindest eine große Rolle spielt, weil das der Zeitpunkt ist, wo alle gemeinsam am Tisch sitzen, über Geschehnisse miteinander reden können, nicht müssen, aber eben Zeit miteinander verbringen, um dann vielleicht auch ein bisschen mehr Gefühl dafür zu entwickeln, wie es dem Gegenüber eigentlich geht. In der lauten Bar schreist du dich an, beim Sportplatz bist du abgelenkt durch den Sport, beim Fernsehen sowieso, aber Essen und Trinken ist Kommunikation pur.Ich habe lange Zeit ein Schulküchenprojekt namens KLASSE, KOCHEN! gehabt. Bei der Umsetzung an einer Bremer Schule, die relativ viele Probleme mit Gewalt und mit gewalttätigen Auseinandersetzungen hatte, hat das Einführen einer gemeinsamen Mahlzeit am Morgen letztlich dafür gesorgt, dass Konflikte anders besprochen und bearbeitet worden sind und man es so wirklich geschafft hat, diese gewalttätigen Auseinandersetzungen in zwei Wochen um 70% zu reduzieren. Ich würde daher schon sagen, dass auch Essen und Trinken eine gewaltige soziale Kompetenz haben.
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