Zurück

Rüschen in Blankenese
Tradition auf geeister Piste

Nun war es endlich wieder mal soweit. Hochgeschwindigkeits-Abenteuer mit Adrenalinkick im Hamburger Elbvorort Blankenese. Tollkühne Fahrer auf abhebenden Kisten, die mit ihren extravaganten Kreeks über „Schinckels Wiese“ rüschen. Wir sprachen mit Hilmer Freiherr von Bülow, er kennt die Tradition seit Kindheitstagen.

Was ist Rüschen und warum wird der Schlitten Kreek genannt?

Hilmer Freiherr von Bülow Rüschen ist plattdeutsch und heißt: gerutscht. Eine Kreek ist ein traditioneller Blankeneser „Vollholzschlitten mit Eisenkufen“, der ursprünglich mal als Lastschlitten für beispielsweise den Transport von Fischkisten genutzt wurde. Er ist besonders flach, sehr schwer und ganze 40 Zentimeter breit. Es gibt Ein-, Zwei-, Drei- und Viermannkreeks, wenn zwei oder mehr Kreeks an einer Latte fahren, dann nennt man das „Maschopp“.

Wie steuert man denn eine Kreek?

Hilmer Freiherr von Bülow Gesteuert wird die extrem schnelle Kreek mittels einer Steuerlatte von ca. 5–6 Metern, welche hinterhergezogen wird. Üblicherweise besteht diese aus einer geschälten und ausgelagerten Tanne, ähnlich wie mit der Pinne beim Segeln.

Wie schnell rüscht man denn den Hügel hinunter?

Hilmer Freiherr von Bülow Damit das Ganze auch an Geschwindigkeit gewinnt (zwischen 60 und 80 km/h) wird die Bahn dafür von den Fahrern Nacht für Nacht „geeist“, sprich mit Schnee und viel Wasser bearbeitet. Bereits morgens um kurz nach sieben Uhr beginnt das Spektakel, wenn es die Witterung zulässt und endet üblicherweise erst dann, wenn die Sonne untergeht oder das Eis weich wird. Die Fahrer selbst kennen sich aus der Schule, aus Kindheitstagen, vom Segeln oder nur so aus dem Dorf.

Wer nimmt an diesem „ganz eigenen Hobby“ denn teil?

Hilmer Freiherr von Bülow Ist einfach eine alte Blankeneser Tradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, der älteste Fahrer ist Anfang 80 und die Jüngsten noch unter zehn. Tatsächlich ist die Gemeinschaft sehr fest und teilweise nehmen bis zu drei Generationen aus einer Familie an dem Spektakel teil.

Ich habe gehört, dass Schlitten hier nicht so gerne gesehen werden?

Hilmer Freiherr von Bülow Genauso ist es. Um die Tradition zu wahren, darf man nur mit einem Kreek rüschen, denn der Schlittenfahrer macht durch das Lenken und Bremsen mit den Füßen die Piste kaputt. Wer seinen Schlitten ausführen möchte, kann im Baurs Park, auf der großen Wiese vor dem Goßlerhaus oder auch im Hessepark rodeln gehen. Die Schinkelswiese ist eine Kreek-, nicht eine Schlittenbahn.

Wie präpariert ihr die Piste?

Hilmer Freiherr von Bülow Mit Wasser und Schnee. Wir stopfen die Löscher mit Schnee und kippen Wasser drauf. Während der Woche mit freundlicher Unterstützung der benachbarten Shell-Tankstelle und am Wochenende mit der Unterstützung eines ansässigen Gartenbaubetriebes eisen wir die Bahn. Hauptsächlich kümmert sich aber die Jugend darum. Wer dann die vereiste Piste hinunterdonnert, sollte schon gut steuern können, um nicht unsanft auf der hart gefrorenen Grasnarbe zum Stehen zu kommen.

„Rüschen ist nichts für Bangbüxe.“

Wer tritt diese rasante Höllenfahrt auf dem Hochgeschwindigkeits-Schlitten freiwillig an?

Hilmer Freiherr von Bülow Jeder, der es frühzeitig gelernt hat. Es sind Menschen aus allen Gesellschaftsschichten und das ist das Schöne daran. Es ist wahrscheinlich die Mischung aus Geschwindigkeit, Tradition und Nervenkitzel, die uns dazu bringt auf betonharten Boden – über eine Sprungschanze – den Abhang runter zu donnern. Rüschen ist eben nichts für Bangbüxe.

Inwiefern übt das Rüschen für die Blankeneser diese ungetrübte Faszination – trotz der Verletzungsgefahr aus?

Hilmer Freiherr von Bülow Knochenbrüche sind keine Seltenheit. Ein paar Prellungen und Schürfwunden gehören mit zum Vergnügen. Früher stand unten immer ein Krankenwagen. Die Kreeks erreichen wesentlich höhere Geschwindigkeiten als herkömmliche Schlitten und fordern vom Lenker hohe Konzentration und einiges an Können. Der obere Teil der Piste ist so ähnlich wie eine Bobbahn. Es ist eng und schmal, natürlich vereist, sodass die Kreeken nur hintereinanderfahren können. Ein Überholen oder Ausweichen ist unmöglich. Der Fahrer sollte am Ende der Bahn bremsen. Hierzu schmeißt man die Steuerlatte weg und reißt mit beiden Händen die Kreek nach oben, sonst landet man auf der Straße Waseberg am Ende der Bahn.

Gibt es diese Spektakel jedes Jahr?

Hilmer Freiherr von Bülow … etliche Jahre ging es nicht (10 Jahre) … aber wir freuen uns, wenn es nächstes Jahr wieder geht, dann heißt es: Die Füße fest auf den Balken – nennt man Holm – pressen und immer gut festhalten. Wer nicht in der Kreeker-Gemeinschaft, in Blankenese aufgewachsen ist und schon als Kind auf einer rasenden Fischkiste saß, sollte bei Minusgraden zur Schinckelswiese kommen, um die außergewöhnliche Attraktion zu sehen. Dann wird das beschauliche ehemalige Fischerdorf mit seinen Treppenviertel zum Schauplatz für eine Alpin-Extrem-Disziplin.

Zurück

Kommentare

Kommentar von Sigrun und Reinhard Diem |

Nun wissen wir Baden-Württemberger endlich was "Rüschen" und "Kreekfahren" bedeuten.
Dankeschön für den interessanten und lehrreichen Artikel. Weiterhin gute Fahrt!

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 7 und 3.
Das könnte Sie auch interessieren