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Marzel Becker
Stay Tuned!

Marzel Becker fing 1987 bei Radio Hamburg als Volontär an und hatte im Jahre 2000 seine letzte Moderation. Vom Hörfunkmoderator und Musikliebhaber wurde er zum Hörfunkdirektor des meistgehörten Radiosenders der Stadt.

Vorab: Herzlichen Glückwunsch zu 20 Jahren Programmdirektion bei Radio Hamburg!

Marzel Becker Vielen Dank. So eine lange Zeitspanne ist in der Branche tatsächlich eher ungewöhnlich. Bin jetzt wahrscheinlich so eine Art Otto Rehagel des Radios. Ob das so erstrebenswert ist? Die einen sagen so, die anderen so ... (lacht)

Welche Verantwortung trägt man bei 1,113 Millionen Zuhörern pro Tag?

Marzel Becker Na, eine Riesige. Logisch. Aber es bringt einen nicht um den Schlaf. Weil: ich wollte schon als 5-jähriger Radio machen, habe zu Hause in den Stecker vom Staubsaugerkabel reinmoderiert (natürlich in dem Alter irgendwelchen Blödsinn, also wie später auch) und habe dann so mit 14 eine zweifelhafte und sehr kurze Karriere unter Freunden als Mixed-Tape-Moderator gestartet. Was ich damit sagen will: Der Job ist mein Hobby. Deshalb lässt mich die Verantwortung nicht kalt, aber an den meisten Tagen des Jahres ist es einfach purer Spaß.

Radio verändert sich. Zu den klassischen, terrestrisch und über Satelliten verbreiteten Programmen ist eine Vielzahl internetbasierter Angebote hinzugekommen. Welche Bedeutung hat Radio heutzutage im Alltag?

Marzel Becker Ach Gott, ich könnte jetzt die Standard-Antwort geben: Eine sehr große Bedeutung. Aber der Punkt ist: Die Bedeutung von Radio für die Gesellschaft war von Anfang an sehr groß, außergewöhnlich groß und daran wird sich auch nichts ändern. Das Radio ist immer und überall dabei und liefert alles, was Du für den Tag brauchst. Informationen und Musik, die deinem Geschmack am besten entspricht. Okay, bei NDR Info ist das mit der Musik etwas schwieriger, aber auf fast alle anderen Radio-Programme trifft das zu. Am Ende ist für Radio der Übertragungsweg schlicht egal. Wichtig ist doch nur, was dabei rauskommt (super Weisheit, oder?).

Entwickelt sich das Onlineradio parallel und ergänzend und schafft evtl. eine Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten des Radios?

Marzel Becker Klar, genauso ist es. Wir als Radiomacher – und ich spreche jetzt nicht nur für Radio Hamburg – können durch die neuen digitalen Möglichkeiten noch gezielter auf die speziellen Wünsche und Bedürfnisse der Menschen eingehen. Wenn es sinnvoll ist, kannst Du zum Beispiel im Netz zusätzlich einen Kanal nur für Kindermusik machen. Oder für HipHop-Fans. Oder du machst einen Podcast mit einem in der Vor-Corona-Welt unbekannten Virologen (siehe N-Joy).

Sprich: Radiomacher können sich noch viel mehr austoben als noch vor 15 Jahren und das macht irre Spaß. Nicht alles klappt, vieles endet in einem Desaster, aber: Wir lernen ständig (ich würde sogar sagen täglich) dazu. Hey, wie genial ist das denn!!!?!

„Radio ist in Puncto Relevanz auf seinem absoluten Höhepunkt.“

Was muss sich verändern, damit Radio nicht noch mehr junge Hörer verliert?

Marzel Becker Puh, die Frage ist eher: Verliert Radio denn so viele junge Hörer? Klar, alles ist in Bewegung, die Veränderungen kommen immer schneller, aber eine Sache bleibt: Radio. Wir wurden so oft totgesagt. Zum Beispiel als die wiederbespielbaren Kassetten aufkamen, dann als MTV gestartet ist und schließlich wieder mal mit dem Siegeszug der Musik-Streaming-Plattformen. Und das Ergebnis? Radio ist aktuell wahrscheinlich in Puncto Relevanz auf seinem absoluten Höhepunkt – und zwar weltweit. Natürlich hören junge Menschen auch verstärkt Musik über Spotify, natürlich tut uns das als Gattung weh, aber solche Szenarien gab es schon immer und wir als Radiomacher müssen uns darauf einstellen. Trotzdem: Wir nehmen diese Situation sehr ernst und natürlich müssen wir uns Gedanken machen, wie wir gerade die junge Zielgruppe beim Radio halten. Der wichtigste Punkt ist Relevanz. Was bedeutet das für junge Menschen? Relevanz in Puncto Inhalt, aber auch Relevanz in Puncto Ausspielweg. Klar, jungen Menschen können wir kaum ein UKW-Radio-Gerät schmackhaft machen.

Wie hat sich und wird sich Werbung im Radio verändern?

Marzel Becker Da geht es uns wie allen anderen Medien. Wie abhängig ist Radio von Werbung? Gibt es andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen? Hätte ich eine Antwort darauf, würde ich Euch diesen Fragekatalog nach einem entspannten Match mit meiner Frau direkt von meinem schattigen Tennisplatz mit einem Glas Rosé in der Hand, natürlich schon zur Mittagszeit, am Rande meines Weinguts in der Provence beantworten. So schreibe ich „nur“ aus HH-Bergedorf (auch ziemlich schön). Natürlich wird sich auch dieser Bereich verändern. Stichworte sind Bezahl-Modelle und Werbung, die ohne Streuverluste beim Konsumenten ankommen. Daran arbeiten wir als Branche. Aber ob der klassische Werbespot aus den Radioprogrammen verschwindet? Ja, nein, aber, vielleicht.

Corona verändert die Mediennutzung: Podcasts schießen wie Pilze aus dem Boden. Welchen Einfluss hat das auf Radio Hamburg?

Marzel Becker Oh, dieses Thema haben wir ständig am Wickel. Wir hatten schon einen ziemlich guten und erfolgreichen Aufschlag mit unserer Krimi-Unterhaltungs-Podcast-Serie „Hummel Hummel Mord Mord“. Dieses Projekt haben wir aber zu Beginn der Corona-Krise aus mehreren Gründen auf Eis gelegt. Aber völlig klar, da wird Radio Hamburg in absehbarer Zeit neue Angebote starten bzw. Angebote reaktivieren. Der Grund ist: Wenn Radiomacher etwas besonders gut können, dann ist es Audio. Und wo immer Audio gefragt ist, müssen wir dabei sein.

1987 hast du als Azubi angefangen. Im Jahr 2000 hattest du deine letzte Moderation. Wie haben sich die Ansprüche der Hörer verändert?

Marzel Becker Ich glaube gar nicht. Weil: Die Ansprüche waren schon immer hoch. Was sich verändert hat, sind die vielen Angebote bzw. die Auswahlmöglichkeiten für die Hörer. Das führt aber im Umkehrschluss natürlich dazu, dass wir Radiomacher uns noch mehr anstrengen müssen als früher. Denn wenn mir als Hörer heute etwas nicht gefällt, schalte ich einfach weg und finde mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anderes Angebot, das mir gut gefällt. Das war „früher“ einfach anders.

Wie schafft man es, die Glaubwürdigkeit im Radio weiterhin zu stärken?

Marzel Becker Indem wir ehrlich sind und nichts faken. Dieser Spruch ist kein Marketing-Sprech, ich glaube tatsächlich daran. Es gibt wohl kaum etwas, was ich so hasse wie „aufgehübschte“ Geschichten. Story-Telling bedeutet für mich: Die Geschichte, die wir erzählen, stimmt, ist nicht gefaked, sie ist relevant und nicht geschönt. Wenn wir Zweifel an der Relevanz haben – raus damit. Alles andere ist Mist.

Journalistische Inhalte sind zum Teil dem Spaßfaktor im Radio gewichen. Worauf konzentriert man sich bei Radio Hamburg?

Marzel Becker Wir konzentrieren uns darauf, für unsere Hörer das Programm zu machen, welches sie täglich hören möchten. Und dazu gehören Informationen, sprich journalistische Inhalte, aber natürlich auch viel Unterhaltung. Das ist meiner Meinung nach die Mischung, die Radio Hamburg so ­erfolgreich macht. Aber ganz klar, wir sind nicht der Deutschlandfunk und reden eine Stunde lang mit irgendwelchen Politikern monothematisch über die Pendlerpauschale (wichtiger Hinweis: Ich liebe den Deutschlandfunk). Wir sind aber auch nicht der Sender, der seine Moderatoren pro Stunde nur 3x 10 Sekunden-Slots freiräumt. An dieser Stelle – Achtung, Eigenwerbung – möchte ich darauf hinweisen, dass gerade Radio Hamburg in der Corona-Krise als einziger Hamburger Sender (und das schon seit März letzten Jahres) regelmäßig in der Morning-Show stundenlange Live-Interviews mit Entscheidern wie dem Ersten Bürgermeister oder Karl Lauterbach gesendet hat bzw. immer noch sendet. Bäm, lieber Deutschlandfunk, eat this. Im Ernst, wir sind Ober-Kellner und nicht Ober-Lehrer (dieser Spruch wird laut meinen Kollegen auch auf meinem Grabstein stehen). Was immer die Situation erfordert, was immer die Hörer sich wünschen – wir liefern.

Wer sucht bei dir die “Neue Stimme” aus?

Marzel Becker Das ist ein fester, aber auch sehr kleiner Kollegen-Kreis. Da ist u. a. unser Stationsmanager Niklas Naujok dabei, aber er ist nicht der einzige, auf dessen Meinung ich bei diesen Entscheidungen vertraue. Letztendlich ist bei uns auch viel Bauchgefühl dabei und der Mut zum Risiko. Natürlich muss ich am Ende für derartige Entscheidungen meinen Kopf hinhalten, keine Frage. Aber zum Glück ist unsere Erfolgsquote ziemlich hoch. Viel wichtiger ist mir aber nicht nur, eine richtige Entscheidung zu treffen, sondern auch aus einem Fehler die richtigen Schlüsse zu ziehen. Denn beim Misserfolg haben wir als Arbeitgeber oft genug auch selbst einen gewissen Anteil an Schuld. Nur sehr sehr selten ist der Mitarbeiter allein der Grund für einen Misserfolg.

Was ist das Geheimnis deines Erfolges?

Marzel Becker Wer bezeichnet meinen Werdegang denn als Erfolg? Wir könnten das auch umdrehen und sagen: So richtig erfolgreich ist mein alter Radio-Hamburg-Kollege Markus Lanz, der bei uns volontiert hat. Er hat WIRKLICH Erfolg. Der beste deutsche TV-Talker (und dann auch noch mit einer eigenen Firma, wow). Also, Erfolg ist relativ. Aber ich will hier auch nicht nur auf mega-demütig und krankhaft bescheiden machen. Soweit ich weiß, bin ich der dienstälteste Programmdirektor in Deutschland (zumindest im Privat-Radio) und das ist sicher nicht nur der Fall, weil ich 10-Finger-Blind auf der Computer-Tastatur beherrsche. Am Ende definiert sich der Erfolg über … Erfolg. Und wir sind ziemlich gut unterwegs. Scheinbar denken unsere Besitzer, ich hätte daran einen relevanten Anteil. Wenn die wüssten.

„Stress? Her Damit, dann macht es noch mehr Spaß.“

Wie gehst du mit einer stressigen Situation um?

Marzel Becker Über die Antwort auf diese Frage musste ich tatsächlich etwas länger nachdenken. Was ist denn überhaupt Stress? Ich glaube, wir hier im Funkhaus haben tagtäglich fast alle durchgehend Stress. Die Frage ist also, mit welcher Einstellung oder mit welchem Mantra wir in der Regel den Tag angehen. Für mich würde ich sagen: Stress? Her damit, dann macht es doch noch einen Ticken mehr Spaß. Ich habe aber in den letzten Jahren bzw. Jahrzenten gelernt, dass nicht jeder Kollege die gleiche Ansicht zum Thema Stress hat wie ich.

Was macht dir an deinem Job am meisten Spaß?

Marzel Becker Es ist halt genau das, was ich mein Leben lang machen wollte oder immer noch machen möchte. Wir reden hier über mein Hobby. Musik, Allgemeinwissen, tolle Kollegen und ich kann/darf/muss Entscheidungen treffen bzw. gelegentlich auch einfach mal bestimmen. Hey, das ist doch einfach irre! Oh Gott, am Ende wollen unsere Eigentümer Geld von mir, wenn ich ständig sage, wieviel Spaß ich habe.  Gibt es Momente, die mich nerven? Klar, wenn inhaltliche Differenzen zu menschlichen Verwerfungen führen. Aber das ist dann ähnlich schwierig wie bei Streit in der Familie. Ich glaube, jeder weiß, was ich meine.

Was hörst du privat für Musik?

Marzel Becker Theoretisch alles. Ich habe mir privat Playlisten zusammengestellt von französischen Chansons (genau davon ist auch übrigens HP Baxter Fan) bis zu „Jay Z komplett“. Ich finde Schubladen-Denken bei Musik-Vorlieben dämlich. Okay, ehrlich, bei den Scorpions muss ich leider… Da empfehle ich doch viel lieber meinen aktuellen Lieblings-Titel: „Ich verprügelte die Sextouristen in Bangkok“ von Danger Dan. Ansonsten gibt es für mich zwei Mitglieder des Musik-Olymps, die über allem schweben: Johann Sebastian Bach und Paul McCartney. Punkt. Hat jemand da draußen Guilty Pleasure Playlisten zusammengestellt? Suche entsprechende Fans, die Titel tauschen möchten!!!!

Welche Ziele verfolgst du noch?

Marzel Becker Also, eine bessere Slice-Rückhand – würde ich nicht nein sagen. Ansonsten bin ich mit meinem Leben rundum zufrieden. Besonders und wahrscheinlich ausschließlich Dank meiner Frau Sandra und meines Sohns Jay. Insgesamt fühle ich mich sehr privilegiert und bin mir dessen sehr bewusst. Ansonsten hängt meine berufliche Zukunft vom lieben Gott und unseren Gesellschaftern ab. Hm, wo war da eigentlich nochmal der Unterschied?

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