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Revolverheld
Wie seid ihr auf den Namen Revolverheld gekommen? Bier getrunken und den Film von Clint Eastwood „Für ein paar Dollar mehr” oder den Western „Die glorreichen Sieben” gesehen?
Jakob Sinn Es gibt dazu gar keine richtig spannende Geschichte. Wir hatten vorher sogar zwei Mal bandnamenstechnisch ins Klo gegriffen. Wir hießen erst Manga, danach Tsunami Killer und dann kam die große Tsunami-Welle! Mit so einem schrecklichen Erlebnis wollten wir natürlich nicht in Verbindung gebracht werden. „Revolverheld“ stand dann auf einer unserer Ideenlisten, ich glaube auf der von Johannes. Wir hatten die Assoziation, dass der Revolverheld mit Worten schießt, vor allem, weil wir damals noch direktere Texte hatten. Also in diesem Fall kein Westernbezug.
Okay, Spaß beiseite. Ihr steht eher für gefühlvolle Songs. Songs mit Tiefgang und doch mit einer Menge politischer Haltung. Egal scheint ein Fremdwort zu sein? Hat sich die Haltung in den Jahren verändert?
Jakob Sinn Was heißt in letzter Zeit - die Bandgründung liegt schon fast 20 Jahre zurück und natürlich entwickelt man sich als Band und auch persönlich weiter. Mit Anfang 20 waren damals andere Themen wichtig als mit Anfang 40. Zwei von uns sind auch schon Vater geworden. Insofern sind die Themen automatisch und fließend andere geworden. Eine Haltung hatten wir schon immer und die ist auch geblieben, weil es uns nicht egal ist, was wir singen. Das ist auch mit der Grund, warum wir in unserer Muttersprache singen, eben, weil wir etwas zu sagen haben. Es sind andere Themen und die Prioritäten verschieben sich, aber dumm rumlabern war noch nie unser Ding.
Wie wichtig sind die thematisierenden Dinge in euren Songtexten? Ist das ein Transportmittel für den Abverkauf?
Jakob Sinn Nein, überhaupt nicht. Wir machen nicht Musik, weil wir etwas abverkaufen wollen, sondern weil wir etwas ausdrücken möchten. Der Verkauf ist total zweitrangig. Es wäre ja schlimm, wenn wir so denken würden. Musik ist für uns ein Ausdrucksmittel – jeder Text und jeder Song liegt uns am Herzen und hat im weitesten Sinne einen persönlichen Bezug - auch wenn nicht alles 1:1 so passiert ist, beschäftigen die Themen uns oder unser Umfeld.
Welche Jahre waren für euch die, an die ihr am liebsten zurückdenkt?
Jakob Sinn Wenn man so lange zusammen Musik macht ist es schwierig, ad hoc ein bestimmtes Jahr rauszunehmen. Mir kommen unterschiedliche Phasen in den Kopf. Zum Beispiel als wir das erste Mal zusammen unseren Plattenvertrag unterschrieben hatten, als wir das erste Mal zusammen auf Tour waren und aus Hamburg rauskamen. Am Anfang als Support für die Bands Die Happy und Silbermond. Das waren alles Zeiten, die wir nie vergessen werden, weil wir das erste Mal das geschafft hatten, wovon wir immer geträumt haben. Als wir dann auch später MTV unplugged machen durften, mit dem wir alle groß geworden sind, war das wie ein Ritterschlag für uns, weil wir immer dachten: „Wow, das dürfen nur die Größten machen“ und auch die dazugehörige große Arenatour ist mir sehr gut in Erinnerung geblieben.
Was ist bei euch mal so gehörig schiefgelaufen?
Jakob Sinn Glücklicherweise gar nicht so viel, zumindest keine gravierenden Dinge. Ich kann mich daran erinnern, dass wir am Anfang bei den ersten eigenen Konzerten das erste Mal in der Schweiz waren. Ein Veranstalter hatte uns auf ein Schiff gebucht und die Bühne war nicht die aller stabilste. Wir haben da auf jeden Fall unsere Show abgezogen und sind durch die Gegend gehüpft und irgendwann brach einer nach dem anderen in dieser Bühne ein. Als Erster ist Niels eingekracht, aber nicht schlimm. Kris stand dann irgendwann auch mit einem Bein eine Etage tiefer, Johannes hinterher. Nach dem Konzert bin ich dann überflüssigerweise auch noch in eines der Löcher gefallen. Das war natürlich nicht so geplant, aber auch keine Vollkatastrophe *lach*.
Eine andere Geschichte fällt mir gerade ein. Das war der Tag vor meinem Geburtstag. Normalerweise wäre das Konzert schon zu Ende gewesen und wir hätten Backstage reingefeiert. Da war es so, dass ein Getränk auf dem Mischpult umgefallen ist und das Gerät erstmal seinen Geist aufgab. Weil wir das Konzert aber nicht abbrechen wollten, haben wir die Zeit mit Akustik Songs überbrückt. Als es dann repariert war, haben wir das Konzert noch zu Ende gespielt, sodass ich an meinem Geburtstag tatsächlich noch auf der Bühne stand.
Gab es dann ein Geburtstagsständchen?
Jakob Sinn Ja, die Fans wussten Bescheid. Das war Mal was Neues und hatte auch was Gutes, weil wir normalerweise schon von der Bühne runter gewesen wären. So durfte ich mit den Fans in meinen Geburtstag reinfeiern.
Improvisieren können nicht alle, man will sich ja auch nicht vor seinen Fans lächerlich machen, also Hut ab.
Jakob Sinn Unser Vorteil ist, dass wir zu viert sind und dann kann man sich gegenseitig die Bälle zuspielen. Das macht ein Konzert und ein Live-Erlebnis natürlich aus. Gerade das fehlt uns in dieser Phase sehr, weil das direkte Feedback der Fans fehlt.
Wie hat sich die Musikindustrie aus eurer Sicht in den letzten Jahren entwickelt und welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie?
Jakob Sinn Jeder, der sich mit Musik beschäftigt, weiß, dass die klassischen, physischen Tonträger – wobei Vinyl ja fast wieder im Kommen ist – sich zum Streaming verlagern. Das ist eine spannende Entwicklung, wie die Art Musik zu konsumieren, auf den Kopf gestellt wird. Ich glaube, dass durch die Corona Pandemie, in der die Geschäfte geschlossen sind, sich der Prozess weg vom Physischen beschleunigt hat. Dadurch entwickelt sich der Abschied von der CD schneller. Früher oder später wäre das sowieso passiert, aber ich denke, dass es so beschleunigt wurde. Glücklicherweise wollen die Leute trotzdem Musik hören und der gängigste Weg ist eben aktuell Spotify und Co..
Da hängt ja eine lange Nahrungskette mit dran, aber trotz Pandemie läuft es für euch weiter und ihr kommt bestimmt mit einem blauen Auge da raus, oder?
Jakob Sinn Klar. Grundsätzlich bin ich auch privat ein großer Fan vom Streaming, weil man immer alles parat hat und sofort hören kann. Das System dahinter ist noch nicht optimal und die Abrechnungsmechanismen sind verbesserungswürdig, sag ich mal ganz vorsichtig. Aber ich bin guter Dinge, dass es sich, über welchen Zeitraum auch immer, zurecht ruckeln wird. Es ist eine aufregende Zeit und ich bin gespannt, wo das hinführt.
Gibt es etwas, was ihr anders machen würdet, wenn ihr „heute“ in das Musikgeschäft einsteigen würdet?
Jakob Sinn Das ist eine schwere Frage, die so nicht eindeutig zu beantworten ist, weil die Zeiten sich total geändert haben. Als wir angefangen haben, war es etwas Besonderes, dass wir überhaupt eine Homepage hatten – so alt sind wir dann schon. Es hat sich alles komplett verändert. Heute ist Social Media nicht mehr wegzudenken. Man kann das nicht 1:1 in die jetzige Zeit übertragen. Generell ist es so, dass es heutzutage weniger Newcomer Bands gibt, sondern eher Solokünstler oder DJs. Rückblickend gesagt ist für uns vieles super gelaufen! Wir haben vieles richtig gemacht, aber auch einfach Glück gehabt und ich wüsste gar nicht, was wir nun anders machen sollten.
Die letzten zwei Jahre waren für euch bestimmt nicht immer super – was gibt euch Halt? Wie unterstützt ihr einander?
Jakob Sinn Vor allem emotional existiert jetzt ein riesiges Loch – da fehlt eine ganze Menge. Das Gemeinsame mit den Fans ist zum Beispiel unbezahlbar, das gibt es so nicht Online. Im Studio arbeiten wir trotzdem! Nicht immer alle gemeinsam, aber am Ende fügen wir dann alles zusammen. Wir sind an einer neuen Platte dran. Das gibt uns Befriedigung und schweißt uns zusammen. Kreative Arbeit ist immer toll und gibt uns viel, aber ersetzt natürlich nicht das Gefühl, das wir auf Konzerten erleben und das fehlt uns definitiv.
Im letzten Jahr haben wir über den Sommer Autokino-Konzerte gespielt und deshalb freuen wir uns schon jetzt auf die kommenden Strandkorb- und Picknickkonzerte! Aber wie wahrscheinlich alle freuen wir uns vor allem wieder auf die normalen Konzerte.
Was ist das Schrägste, was euch als Band widerfahren ist?
Jakob Sinn Wenn es etwas richtig Spektakuläres gäbe, wüsstest du es bestimmt schon. Es gab mal eine verrückte Situation relativ am Anfang, wo wir auf einer Motorhaube bei einem Fan unterschreiben sollten. Ich sag jetzt nicht wer es war, aber einer von uns hat sich mit zittriger Hand vor Aufregung dann leider verschrieben. So eine Situation vergisst man nicht. Eine sehr schöne Sache war mal, dass ein Fan uns einen Stern geschenkt hat, also wirklich einen echten Stern gekauft und als „Revolverheld-Stern“ benannt hatte! In Bezug auf „Groupies“ gab es gerade am Anfang auch ein paar fanatische Fans. Innerhalb der Fanszene hat zum Beispiel mal Eine behauptet, sie wäre mit mir verheiratet gewesen. Ich kannte sie nur vom Sehen, weil sie wirklich auf jedem Konzert war. Aber das war natürlich einfach gelogen.
Hat jemand von euch noch verborgene Talente?
Jakob Sinn So verborgen ist es nicht, aber unser Gitarrist Kris war als Jugendlicher sehr gut im Tennis. Er war damals zum Beispiel auch bei Nick Bollettieri im Camp in Amerika und hat mit Tommy Haas im Doppel gespielt. Zum Glück hat er sich für die Musik entschieden, sonst hätten wir ihn nicht in unserer Band.
Mit wem würdet ihr gerne zusammen auf einer Bühne stehen?
Jakob Sinn Generell würden wir überhaupt gerne wieder auf einer Bühne sein *lach*.
Ein Idol unser aller Jugend ist immer noch Sting. Das ist natürlich sehr unrealistisch, wäre aber wie ein Kindheitstraum, der in Erfüllung gehen würde. Dave Grohl ist ebenfalls jemand, der uns alle geprägt hat – erst Schlagzeuger bei Nirvana, dann einer der größten Rockstars aller Zeiten! Dabei wirkt der Typ, bei allem was er macht, noch so super sympathisch.
Ihr tretet nach wie vor gerne – quasi »back to the roots« in kleinen Clubs auf. Was macht euch mehr Spaß, die Auftritte in kleinen Clubs oder die Megashows in der ausverkauften Hamburger Barclaycard Arena?
Jakob Sinn Das kann man tatsächlich gar nicht sagen. Zu Beginn des letzten Albums haben wir eine kleine Clubtour gespielt, weil wir das so lange nicht gemacht hatten und Bock hatten, mal wieder extrem nah dran zu sein – sowohl an den Fans als auch auf der Bühne eng nebeneinander zu stehen. Das gibt es ja so auf der großen Bühne nicht. Auf der anderen Seite hat es eine unglaubliche Energie in einer Arena vor 15.000 Leuten zu spielen! Das ist nicht richtig zu vergleichen, aber beides total toll! Wir haben das Glück, dass wir uns nicht entscheiden müssen und beides machen dürfen. Das gilt auch für indoor oder outdoor. Festivals haben einen Reiz für sich – da sind deutlich mehr Leute direkt vor der Bühne. Man ist natürlich emotional mit dem Wetter in Verbindung und wenn dann ein Regenschauer oder Sturm einsetzt, dann macht das was mit allen – auf der Bühne und mit dem Publikum.
Habt ihr - wenn ihr auf Tournee seid - zwischendrin auch mal Zeit, in den Städten etwas zu sehen und zu erleben?
Jakob Sinn Es ist nicht immer Zeit, aber wenn es uns möglich ist, versuchen wir uns die Zeit zu nehmen und machen das gerne. Wenn wir richtig auf Tour sind, sind wir meistens morgens schon da und haben das Glück, dass unsere tolle Crew schon alles aufbaut. Nicht immer, aber meistens, haben wir dann 2-3 Stunden Zeit etwas anzusehen und dann machen wir das auch. Wenn man auf Tour ist und nur die Hallen von innen sieht – die sich ja auch oft ähnlich sehen – ist das nicht so schön. Wir treffen uns auch gerne mit Freunden oder gehen an unsere Lieblingsplätze, die wir im Laufe der Zeit gefunden haben.
Ehrliche Frage, ehrliche Antwort: Habt ihr noch Lampenfieber wenn ihr auf die Bühne geht?
Jakob Sinn Auf jeden Fall. In die Büx machen wir uns wohl nicht, aber eine gewisse Anspannung gehört für mich auch dazu. Wenn ich zu locker auf die Bühne gehen würde, würde mir etwas fehlen. Das will ich gar nicht missen. Es ist nicht mehr wie am Anfang, aber ein bisschen Lampenfieber gehört für mich dazu!
Was plant ihr aktuell?
Jakob Sinn Grundsätzlich sind wir schon seit ein paar Monaten im Studio. Die Singles „Abreißen“ und „Leichter“ sind ja schon veröffentlicht. Wir sind an weiterem Material dran und haben viel geschrieben - die Zeit dafür war ja da. Es wird definitiv ein Album geben. Uns wird nicht langweilig und die Fans können gespannt sein.
Da viele jetzt Zeit zum Schreiben und Produzieren haben: Wird es eine Flut von neuen Sachen geben, wenn es wieder los geht?
Jakob Sinn Das glaube ich nicht. Ich vermute, dass jetzt schon vieles veröffentlicht wird, was während der Pandemie entstanden ist. Wenn es wieder losgeht, wollen dann natürlich alle auf Tour gehen und ich schätze mal, dass es dann wohl eher eine Flut von Konzerten geben wird.
Was sind die Träume, die man als Musiker noch hat?
Jakob Sinn Wir haben alle zu unterschiedlichen Zeiten angefangen Musik zu machen und haben damals davon geträumt, mal eine Band zu gründen und auf Konzerten zu spielen. Als Hamburger hatte ich natürlich einige Lieblingsklubs in unserer Stadt. Im Logo haben wir z.B. als erstes gespielt. Die Sporthalle war dann schon Wahnsinn und die Barclaycard Arena noch total unrealistisch. Als wir es dann das erste Mal geschafft hatten, war das echt Wow! Das sind die Träume die nach und nach in Erfüllung gegangen sind. Manchmal muss ich mich immer noch kneifen und merke, dass wir es schon ganz schön weit gebracht haben.
Ich finde auch, das kann man ruhig so sagen.
Jakob Sinn Viele meiner Jugendträume sind in Erfüllung gegangen – wie die erste eigene goldene Schallplatte oder das erste Mal Rock am Ring. Das war 2006 und da hat Velvet Revolver gespielt. In der Band war auch Slash, der legendäre Gitarrist von Guns n‘ Roses. Niels, unser Gitarrist, war immer unglaublicher Guns n‘ Roses und Slash Fan und hat sich seine Gitarre signieren lassen.
Für die Zukunft gesehen wünsche ich mir einfach, dass wir bald wieder Konzerte spielen dürfen und wenn wir in 20-30 Jahren immer noch zusammen auf der Bühne stehen, wäre das zwar absolut verrückt – aber mit 70 Jahren, wie die Rolling Stones, noch gemeinsam mit den Jungs auf der Bühne zu spielen, wäre auf jeden Fall ein Traum!
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