Art & Design
Ein Porträt von Tom Jacobi
Michel Comte
Das erste Mal, dass mir der Name Michel Comte auffiel, ist unvergessen. Es muss irgendwann in den frühen 80er Jahren gewesen sein. Ich blätterte durch den neuen „Stern“, damals wöchentliche Pflichtlektüre für alle Kreativen, schlug eine Seite um, und… leider fehlt mir jetzt das passende Wort. „Wow“, „Peng“, „Hammer“ würden dem, was ich sah, nicht gerecht werden.
Auf einer Salzpfanne in Kalifornien hatte Michel für eine Modestrecke leicht bekleidete Mädchen mit wilden, exotischen Tieren fotografiert. Oder war es anders rum? Bei Michel weiß man ja nie. Die Mode war vollkommen unwichtig, die Bilder dafür atemberaubend. Sie haben sich für immer in mein gut gefülltes Bildgedächtnis eingebrannt. Seitdem habe ich nie aufgehört, nach seinen Arbeiten Ausschau zu halten.
Selten waren seine Porträts geplante Inszenierungen, sondern meistens Resultate eines spontanen Dialogs zwischen Fotograf und Porträtiertem. Aus dieser Offenheit und Freiheit resultierten großartige Bilder voll intimer Einblicke. Mit ausgeprägter Experimentierfreude passt Comte seine Bildsprache dem Charakter der Porträtierten an, anstatt sie einem Konzept unterzuordnen.
Niemand hat seine Arbeitsweise besser beschrieben als Franca Sozzani, die legendäre, leider verstorbene Direktorin der italienischen Vogue: „Michel Comte ist chaotisch. Er verspricht etwas, vergisst es, er sagt ja und es ist nein. Seine geniale extravagante Seite bekommt man nicht in den Griff. Er schafft es den Moment zu erfassen. Er hat eine ganz bestimmte Art, die Leute und eine Situation wahrzunehmen. Er hat eine ganz eigene Sensibilität. Immer ist er Zeuge des Augenblicks. Er macht die Frauen nicht schöner als sie sind und die Situation nicht anders als sie ist, aber es ist immer wahr, was er macht.“
Michel war immer ein Grenzgänger und nie der typische „Star & Mode Fotograf“. Er erzählte einmal, dass er „vor dreißig Jahren oder so“ eine Zeitlang in Tibet gelebt habe, auf den K2 geklettert sei und dabei aus der ersten Reihe sehen konnte, dass die Gletscher schmelzen würden. Ob das genauso stimmt, weiß ich nicht, denn Michel brennt immer ein Feuerwerk so toller Geschichten ab, dass man manchmal versucht ist, bei der einen oder anderen Episode fragend eine Augenbraue hochzuziehen.
Fakt ist aber, dass er seine kreative Aufmerksamkeit in den vergangenen Jahren neuen, eigenen Kunstprojekten zuwandte.
Sein Film «The Girl from Nagasaki» von 2014, bei dem es sich beispielsweise um eine Neuauflage von Puccinis «Madame Butterfly» handelt, habe ihn zehn Millionen gekostet, sagte er (welche Währung bleibt unklar, woher die Mittel kamen, ebenfalls). Aber wichtiger: Er sei happy mit dem 3-D-Film und habe zudem etwas gelernt: „Don’t pay for a movie with your own money“.
Er war immer getrieben, zu zeigen, was ist. Über sich selbst sagt er: „Ich bin der Chronist des Augenblicks“.
So wurde der Kimawandel zu seinem derzeit bestimmenden Sujet. Er schuf großformatige Gletscherbilder, die mit von ihm gesammelten Sedimente-Objekten 2017 in einer Multimedia-Ausstellung mit Namen «Light» im Maxxi-Museum in Rom gezeigt wurden. „Es handelt sich dabei um mehr als ein Landschaftsportfolio eines der berühmtesten Fotografen weltweit - der zudem erfahrener Bergsteiger und Pilot sei - nämlich um eine politische Aussage über die Folgen des global warming und einen Aufruf, sich dagegen zu wehren“, schrieb der Kurator auf der Museums-Website.
Das letzte Mal traf ich Michel mit seiner zweiten Frau Ayako zu einem Lunch im sonnendurchfluteten Patio des Bel Air Hotels in Los Angeles. Wolfgang Puck, Betreiber des Restaurants und Chef aller Chefs der selbstverliebten Filmmetropole, setzte sich zu uns. Das tut er nicht bei jedem und bestimmt nicht zu mir und meiner Frau. Michel war ein Star in Beverly Hills.
Die frühere Stylistin Ayako ist nicht bloß seine Ehefrau, sondern auch Muse und wichtigste Mitarbeiterin. Sie gibt ihm Halt und Inspiration. Das Paar war auf dem Sprung, ihre Zelte in Kalifornien abzubrechen und zurück in die Schweiz zu ziehen, wo sie jetzt in Küsnacht leben. „Wir haben mehr Spaß denn je, aber es ist wirklich verrückt“, fasste er ihre momentane Lage zusammen. Die gemeinsamen Pläne und Ideen sprudelten nur so aus ihm heraus. Seine Antwort auf meine Frage, ob das nicht vielleicht zu viel in zu kurzer Zeit sei, ist wohl auch das Lebensmotto von Michel: „Because we don’t stop“, sagte er, „we never stop“.
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