Mein Hamburg
Clemens Gerlach & Peer Hartog
Marken sind die neue Religion

Ihr geltet als Geheimtipp für Mode- und Lifestyle-Kommunikation in Hamburg, wenn nicht sogar im gesamten deutschsprachigem Raum. Könnt ihr euch das erklären?
CLEMENS GERLACH (Anm. d. Red.: Lacht) Peer hat 2014 einen viel beachteten Vortrag auf dem Modemarketing-Kongress gehalten (Anm. d. Red.: bei Youtube Stichwort „Peer Hartog“ eingeben), in dem erklärt er, was im Modemarketing seit Jahren falsch läuft. Vermutlich deshalb.
Was läuft denn falsch in der Modewerbung?
PEER HARTOG Modewerbung funktioniert für gewöhnlich nach dem „Unnahbarem-Star-Prinzip“: Die Marke präsentiert sich in cool gestylten Fotos als strahlende, unerreichbare Ikone. Der Konsument darf sich für viel Geld in den Strahlen der Marke sonnen. Er erkauft sich mit dem Label soziale Aufwertung und ein wenig Glanz. Für eine handvoll Statusmarken funktioniert das. Doch der Markt besteht nicht nur aus Statusmarken und deren Jüngern. Die meisten Modelabels haben keine modische Autorität. Dennoch werben alle genauso wie diese Luxusmarken: Stylisches Foto, Markenlogo drauf, fertig.
Scheint also zu funktionieren, wenn es alle so machen...
PEER HARTOG Eben nicht. Eine Mainstream-Marke ist nun mal keine Stilikone. Wenn man eine außergewöhnliche Kollektion hat wie etwa Gaultier, reicht ein stylisches Bild von coolen Menschen im Outfit aus, die Mode selbst ist interessant genug. Wenn ein Mainstream-Label das macht, ist es eben nur ein Bild von einem gut aussehendem Menschen in normaler Kleidung. Im besten Fall rennen ein paar Leute los um eins der abgebildeten Teile zu kaufen, aber so ein Auftritt hilft nicht, die Marke in den Herzen der Menschen zu verankern. Die niedrigen Sympathiewerte der meisten Mainstream Fashionlabels in Studien sprechen da eine klare Sprache.
Wie muss Modewerbung denn sein, wenn sie erfolgreich sein soll?
CLEMENS GERLACH Dank Internet werden wir mit mehr Bildern denn je konfrontiert. Da muss man erstmal wahrgenommen werden, und wenn alle Marken nach demselben Prinzip werben, erkennt kein Verbraucher mehr einen Unterschied. Also Erstens: Eine Marke muss ihre individuelle Identität durch einen individuellen Auftritt demonstrieren.
Zweitens: Der Auftritt muss einen Aha!-Effekt auslösen. Für echte Gefühle muss man heute mehr bieten als Schönheit. Die Marke braucht eine Botschaft, eine Haltung.
Wie soll eine Konsum-Marke bitteschön eine Haltung verkörpern?
PEER HARTOG Diesel hat jahrelang mit der “Successful living“-Kampagne der Gesellschaft einen Spiegel vorgehalten. Heute sagen sie „Make Love, not Walls“. Diesel steht für eine gesellschaftsrelevante Haltung über Kleidung hinaus und ist zur Ikone der Nonkonformisten geworden. Und damit extrem erfolgreich. Oder Dove: Seit die Marke in ihrer Werbung die Haltung vertritt, dass Schönheit keine Frage von Idealmaßen ist, fliegen der Marke Sympathien zu. Und Marktanteile.
Aber H&M zeigt doch auch nur Models in Outfits und ist damit erfolgreich.
CLEMENS GERLACH Hinter den H&M-Kampagnen steckt durchaus eine Haltung. Jedes Motiv sagt: „Topmodisch aussehen muss nicht viel kosten“. Das machen sie sehr konsequent seit Jahrzehnten so. Ein Grund, weshalb H&M erfolgreich ist und vergleichbare Labels wie Esprit nicht.
PEER HARTOG Wir haben gelernt: Erfolgreiche Marken haben gute Produkte, sehr erfolgreiche Marken haben eine Haltung. Marken, die sich von Wettbewerbern, die Vergleichbares bieten, abheben wollen, müssen Werte verkörpern. Und eine Haltung annehmen, wie „Du kannst dich nach vorne kämpfen“ (Under Armour), „Just do it“ (Nike), „Schönheit braucht keine Idealmaße“ (Dove) oder „Alles muss so einfach sein, dass es deine Kreativität fördert“ (Apple). Das beschränkt sich natürlich nicht auf die Selbstdarstellung. Dove z.B. unterstützt diverse soziale Förderprogramme, Apple hat den Computer zu etwas gemacht mit dem jeder umgehen kann. Eine Marke sollte heute über das Produzieren von Produkten hinaus eine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Es klingt vielleicht etwas anmaßend, aber Marken müssen heute die Werte verkörpern, für die früher die Kirche stand. Marken sind die neue Religion.

Weil der Film so gut ankam, setzte About You die Kampagne kurzerhand auch offline ein. Gibt es solche Beispiele auch von euch?
PEER HARTOG Wir haben unter anderem About You geholfen, den Kern der Marke zu definieren und eine Marke mit Haltung zu werden. In der Kampagne „Wir lieben deine Ecken und Kanten, denn nur eine Null hat keine“ sagt About You, dass jeder genau richtig ist, wie er ist. Dass die Individualität des Einzelnen wichtig ist und nicht irgendwelche Must-haves und Modediktate.
Die Kampagne hat offenbar den Nerv der Menschen getroffen: Der Online-Film wurde binnen zwei Tagen vier Millionen mal angeschaut und fast nur positiv kommentiert.
Was bedeutet der Standort Hamburg für euch?
CLEMENS GERLACH Ich habe sechs Jahren in London und zwei Jahre in Berlin gearbeitet und kann sagen: Hamburg ist eine der weltoffensten Städte überhaupt. In Hamburg haben wir nicht zuletzt durch die Verlage und Start-Ups eine sehr gute Infrastruktur an Kreativen. Und Hamburg ist dabei bodenständig geblieben. In Berlin wird viel geredet, in Hamburg wird gemacht. Ansonsten wird der Standort überschätzt. Unsere Kunden sind ja größtenteils nicht aus Hamburg, und unsere Mitarbeiter sitzen auch nicht alle in unserem Office in Bahrenfeld. Man glaubt gar nicht, wie viel man schafft, wenn man nicht ständig in Meetings hockt (Anm. d. Red.: Lacht). Jeder arbeitet dort, wo er am Produktivsten ist. Unsere dezentrale Struktur macht uns schlank und schnell. Und davon profitieren unsere Kunden. Auch finanziell, denn repräsentative Immobilien-Agenturen gibt’s nicht und unsere Kunden bezahlen nur die Leute, die auch wirklich für sie arbeiten.
Danke euch fürs Gespräch und weiterhin viel Erfolg!
Online gerlachhartog.de
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