Greta, was war das Mutigste in Deinem Leben?
Greta Silver Das Mutigste war, das Schreiben meines ersten Buches „Wie Brausepulver auf der Zunge“. Da habe ich eine Ehrlichkeit an den Tag gelegt, zu der ich mich ein stückweit überwinden musste. Ich hatte zunächst im Manuskript beschrieben, was mir im Leben passiert ist und was ich daraus gelernt habe. Mein Verlag sagte: „Das versteht man so nicht. Du warst selbständig und sagst, du bist gemobbt worden. Du hast nur Abitur und vier Sterne-Hotels eingerichtet. Das kriegt man nicht zusammen. Kannst du nicht auch noch eine Biografie schreiben?“ Also habe ich mich hingesetzt und meine Biografie geschrieben. Ich musste tiefer in mein persönliches Leben eintauchen, genau dorthin, wo es weh tat, um meine Biografie mit meinem ersten Manuskript zu verbinden. Freiwillig wollte ich da nicht so gerne nochmal eindringen. In diesem Moment erinnerte ich mich an die amerikanische Sozial-Forscherin Brené Brown, die bewiesen hat: „Dass unsere Verletzbarkeit auch gleichzeitig die Wiege für Schmerz, Scham, Leid, aber auch für Lebensfreude und Fülle ist. Schutzmauern, die den Schmerz verhindern sollen, bremsen leider auch die Freude im Leben.“ Das habe ich mir zu Herzen genommen. Ich wollte die ganze Bandbreite der Lebensfreude erleben, also wurden alle Schutzmauern eingerissen. Der Damm war gebrochen und das Buch ist nun ein Spiegel-Bestseller. Was kann mir noch passieren? Die ganze Wahrheit liegt bereits auf dem Tisch. Es fühlt sich erstaunlich gut an, zu seinen Ecken und Kanten, seinem Versagen und zu seinen Verletzungen zu stehen. Es befreit einfach!
Du möchtest die Welt auf den Kopf stellen. Wie schaffst Du das?
Greta Silver Die Welt auf den Kopf stellen heißt für mich in erster Linie: „Raus aus der Norm!“ Alte Bilder im Kopf bremsen uns aus. Ich habe mir auf die Fahne geschrieben, das Alter mal anders zu beschreiben, so wie es wirklich ist. Die Zeit zwischen 60 bis 90 Jahren ist genau so lang wie die Zeit von 30 bis 60. Wir bekommen nochmal das gleiche Lebenspaket geschenkt. Nur diesmal mit roter Schleife und ohne den Stress. Mein zweites Buch heißt: „Alt genug, um mich jung zu fühlen“. Was bedeutet denn jung sein – das ist diese Neugier auf das Leben, diese unbeschwerte Zeit, dieses „Wow, was kostet die Welt“. Wann haben wir das das letzte Mal erlebt? Mit 20 war es mehr die Unsicherheit, ob Karriere und Partnerschaft so gelingt, wie man es sich vorstellt. Mit 30 kamen schon die schlaflosen Nächte dazu – Kind krank oder die Karriere wackelte, der Kollege wurde befördert, ich nicht. Mit 40 oder 50 war die Sorge: „War’s das jetzt im Leben?“ Heute ist die Zeit, alle die Träume zu verwirklichen, für die damals keine Zeit war. Alter ist ein Startup Unternehmen. Unser Startkapital ist ein fantastisches Lebens-Know-how. Das ist unser emotionales Grundeinkommen. Was wir alles tun können, um leichtfüßig durchs Leben zu gehen – ohne diese alten Verletzungen und angstfrei – davon berichtet mein neues Buch.
Wie betrachtest Du heute die junge Greta von früher?
Greta Silver Als erstaunlich angepasst, in gewohnten Bahnen laufend. Ich weiß noch, dass ich mich in Gruppen bewegte, von denen ich jetzt sage: „Da habe ich mit angezogener Handbremse gelebt.“ Ich habe meine ganze Energie unterdrückt, nur um dazuzugehören. Hinterfragt hatte ich das damals nie. Ich war glücklich, es jedem recht zu machen … Jetzt zumindest spüre ich, wie Freiheit wirklich ist. Ich flippe ja nicht aus oder mache völlig verrückte Sachen. Ich habe einfach nur meine Flügel deutlich weiter ausgespannt.
Und wie lebst Du diese Freiheit?
Greta Silver Mit ganz vielen neuen Facetten: Ich bin YouTuberin, Podcasterin, Kolumnistin und Bestsellerautorin. Zudem habe ich mir eine neue Tür zum Best-Ager-Markt geöffnet, den man früher nur mit Gummistrümpfen und Magnesium zu erreichen können glaubte.
Wie gehst Du mit Deiner Bekanntheit um?
Greta Silver Erstmal ist mein ganzes Umfeld dazu verordnet worden, mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Ich will nicht abgehoben sein und das, was alles Großartiges passiert, als selbstverständlich nehmen. Ich freue mich, dass meine Kinder so begeistert sind von dem, was bei mir gerade alles abgeht. Aber ich möchte ja von meinem Naturell, Wertesystem und Charakter so bleiben wie ich bin. Es kostete mich anfangs Überwindung zu sagen: Ich laufe genauso schlunzig zum Einkaufen, wie ich das sonst getan habe. Ich style mich nicht extra, nur weil man mich erkennen könnte. Ich lebe mit dem Risiko, dass jemand einen „Schock“ bekommt und sagt: So kann die also auch aussehen. Würde ich das nicht machen, enge ich mich doch nur wieder selbst ein.
In Deinem ersten Buch schreibst Du, mit Ende 40 sei Dir ein Glücksstern über den Weg gelaufen. Hat jeder Mensch einen Glücksstern?
Greta Silver Mein Bauchgefühl sagt mir: Ja, es gibt Glückssterne für jeden – nicht nur für mich. Aber es liegt an uns, was wir daraus machen. Ich erinnere mich, dass ich irgendwann mal in einem Job arbeitete – zwar frei, aber mit langer Perspektive. Wohlgefühlt hatte ich mich, doch ich dachte: „Ach wie schade, du hast deine Offenheit verloren, neue Chancen zu sehen.“ Zum Glück habe ich meine Offenheit wiedergefunden. Und siehe da, es kamen neue Ideen und Chancen. Ich dachte auf einmal: „Ach Mensch, will ich dieses und jenes nicht auch gerne mal machen?“ Wir brauchen diese Wachheit. Klar probiert man mal was aus und sagt: „Das war nicht mein Ding“. Aber zumindest habe ich es versucht. Und muss am Ende meines Lebens nicht sagen: „Wie schade, das hättest du gern noch mal probiert.“ So denke ich über die Verteilung der Glücksterne im Leben.
Wen würdest Du gern mal treffen?
Greta Silver Wenn sie noch leben würden, Martin Luther King oder Pablo Picasso. Das waren Menschen, die aus der Fülle gelebt und sich hinter ihre Überzeugung gestellt haben. Martin Luther King hat einmal gesagt: „Mich dreht keiner.“ Er stand mit Überzeugung dahinter. Das imponiert mir sehr. Bei Picasso ist es nicht sein Lebensweg, den ich spannend finde, sondern die Art, wie er in die Kunst abgetaucht ist – da er aus der Fülle gelebt hat. Auf einem Familienfest wurde ich mal gefragt: Wen hättest du gern als Tischnachbarn? Ich antwortete: „Ganz einfach, entweder eine junge oder eine alte Person.“ Mich beeindrucken Menschen, die etwas erlebt haben oder neugierig genug sind, sich gegen die Welt zu stemmen. Säße neben mir am Tisch ein junger Mann im Punker-Look, würde ich ihn fragen: „Was treibt dich an?“
Wie wichtig ist Dir ein gesundes Wertebewusstsein?
Greta Silver Es macht mein Leben aus. Wie sehr unser Handeln unser Selbstbewusstsein prägt, habe ich erst im Laufe des Lebens begriffen. Ich hatte in einigen Jobs manchmal Studenten als Aushilfe. Die Zeiten der An- und Abwesenheit habe ich nicht kontrolliert. Ich habe nur zu den Studenten gesagt: „Halte das für dich fest. Die Firma wird nicht unter deiner Abwesenheit leiden. Aber meine Bitte an dich, mache es für dich selbst! Du gehst ganz anders aus der Firma raus, wenn du dich nicht durchmogelst.“ Dieses sich Durchmogeln wollen, das macht doch klein, das Selbstbewusstsein kaputt. Jeder ist für den Wert seiner selbst auch selbst verantwortlich.
Du sprichst vom Alter als Gütesiegel ...
Greta Silver Alter als Gütesiegel bedeutet für mich, sich zugehörig zu fühlen zu einer Gruppe mit Stil und einem ausgeprägten Wertebewusstsein. Genau in diesem Sinne ist es für mich eine Auszeichnung, älter zu werden. Was haben wir als ältere Generation für ein Lebens-Know-how!! Wie viele Male sind wir gescheitert und haben daraus gelernt. Und das Leben ging trotzdem weiter ... Meine Erfahrung zeigt, wenn es wehtat, bin ich am schnellsten gewachsen! Das ist ein herausragendes Merkmal. Wir alle haben gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Sei es für den Partner, die Kinder oder die älter gewordenen Eltern. Wir haben gesellschaftliche Aufgaben übernommen. Ich möchte es weltweit schaffen, dass sich unsere Gruppe ihres Wertes bewusst ist!
Und was kommt als Nächstes?
Greta Silver Viel Neues. Beispielsweise hat ein chilenisches Kamerateam mit mir kürzlich einen Film zum Thema Nachhaltigkeit und Umgang mit dem Alter gedreht. Der Film wird auf den UNO-Plattformen gezeigt. Die haben mich im Netz entdeckt und rausgefischt. Glücksstern! Glücksstern! Glücksstern! Unglaublich, oder? Wartet ihr erst mal ab, bis ihr 70 seid!
Kommentare
Kommentar von S.Charlotte Fransson-R. |
Liebes OPIUM-Redaktionsteam, Greta Silver ist einfach SENSATIONELL!!
Wenn ich noch kein bekennender Fan, keine Bewunderin und/oder keine Followerin von ihr wäre, DANN wäre ich nach DIESER Hörprobe des Buches definitiv und spätestens ein(e)...!!
BÄM!
So eine klasse Frau!
Ihre Zeilen machen Mut, Hoffnung und motivieren!
Man versprürt Lust auf 'mehr' bzw. auf alles, was noch kommen mag...!
DANKE, Greta!
Ich werde Dir weiter folgen und "an Deinen Lippen hängen..."
Alles Liebe für Dich und mögen alle Deine Wünsche für 2021 in Erfüllung gehen.
Herzlichst,
'Lotte'
Kommentar von Luise Maria Sommer |
„Alter als Gütesiegel“ ... was für ein machtvoller Paradigmenwechsel!
Danke für diesen interessanten Artikel mit seinen klugen Fragen. Danke an Greta als so wunderbare Vordenkerin in diesem Prozess, Älterwerden als Auszeichnung zu betrachten.
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