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Vera Cordes
Gesundheit braucht Eigeninitiative
Frau Cordes, Sie moderieren schon seit 1998 das wöchentliche Gesundheitsmagazin „Visite“ im NDR Fernsehen. Ein Format, in dem komplexe medizinische Sachverhalte, Krankheiten und Gesundheitstipps verständlich und praxisnah erklärt werden. Ist Ihnen das noch nie langweilig geworden?
Vera Cordes Noch nie! Dafür ist der Fortschritt in der Medizin viel zu spannend. Vor 20 Jahren hatten Menschen mit entzündlichem Rheuma noch deformierte Gelenke, mussten deshalb sogar operiert werden. Heute können moderne Medikamente, Biologika, die Autoimmunerkrankung schon früh stoppen. Einige Krebserkrankungen verlaufen nicht mehr unbedingt tödlich, sondern dank Immuntherapien wie eine chronische Krankheit, mit der man lange leben kann. Und noch ein Beispiel: Früher dachte man, wer einmal Diabetes Typ 2 hat und Insulin spritzen muss, kommt davon nie wieder weg. Inzwischen ist unbestritten, dass man der Zuckerkrankheit im wahrsten Sinn des Wortes davonlaufen kann. Solche positiven Entwicklungen den Menschen näher zu bringen ist eine erfüllende Aufgabe.
Inwiefern hat sich der Wandel in der Medizin auch auf die Inhalte Ihrer Sendung ausgewirkt?
Vera Cordes Nicht nur der Wandel in der Medizin hat sich auf die Inhalte ausgewirkt, sondern auch die veränderten Ansprüche unserer Zuschauer und Zuschauerinnen. Etwas zugespitzt kann man sagen: Vor 15 oder 20 Jahren haben die Leute in erster Linie nach neuen Medikamenten und modernsten Operationsmöglichkeiten gefragt, heute wollen sie meistens wissen wie sich beides möglichst vermeiden lässt. Viele Menschen sind kritischer geworden und interessieren sich sehr für konservative, also erhaltende Maßnahmen, für die sie auch durchaus bereit sind, selbst einiges zu tun. Und Visite unterstützt diesen Trend.
Dazu motivieren Sie Ihr Publikum ja regelmäßig höchstpersönlich. Manchmal ist ja Einiges bei Ihnen im Studio los ...
Vera Cordes Ja, als Tipp für mehr geistige Fitness habe ich schon getanzt, bin für feste Knochen Trampolin gesprungen, habe mir das Kreuz-Darmbein-Gelenk vom Studiogast einrenken lassen oder vor laufender Kamera live meinen Blutdruck an beiden Oberarmen gleichzeitig messen lassen. Letzteres war übrigens gar nicht witzig. Ich musste nämlich feststellen, dass man auch als langjährige Moderatorin durchaus während der Sendung noch so unter Stress steht, dass der Blutdruck schockierend hoch sein kann. Aber all solche Tests, Eigenübungen und kleinen Demonstrationen sind keine Show, sondern zeigen den Leuten: „Schaut her, ich kann auch selbst an den Stellschrauben für mein Wohlergehen drehen. Meine Gesundheit ist nicht Sache des Hausarztes, sondern in erster Linie meine eigene Angelegenheit.“
Übernehmen denn tatsächlich mehr Menschen Eigenverantwortung für ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden?
Vera Cordes Das ist auf jeden Fall das Ziel, das wir mit Visite und den spezielleren Spin-Offs „Ernährungsdocs“, „Bewegungsdocs“ und „Naturdocs“ verfolgen. Wir versuchen den Menschen die Dinge zu erklären, für die Ärzten und Ärztinnen oft die Zeit fehlt. Und ein immer größer werdender Anteil unserer Bevölkerung nimmt die wissenschaftlich gesicherten und dennoch alltagstauglichen Ernährungs- und Bewegungsstrategien dankbar an. Denn mit ihnen lassen sich nachweislich in Eigenregie selbst so massive Gesundheitsprobleme wie Diabetes, Adipositas oder Bluthochdruck bemerkenswert gut selbst bekämpfen. Die Jüngeren, für die Krankheit noch nicht so das Thema ist, erreichen wir zunehmend über Facebook und Instagram.
Sie holen die Leute also dort ab, wo sie sind. Aber was nützt es, wenn einer kein Blut sehen kann oder bei OP-Bildern und Spritzen grundsätzlich wegzappt?
Vera Cordes Das gibt es und ist verständlich. Darum achten wir schon bei den Drehaufnahmen und im Schnitt immer auch auf eine bestimmte Bildästhetik und setzen anstelle von etwas schwerer verdaulichen Sequenzen erklärende Animationen ein. Mit ihnen lässt sich das Wesentliche super darstellen. Niemand ekelt sich und ein Beitrag über Hämorrhoiden ist dann nicht nur ausgesprochen ansehnlich, sondern bringt einen vielleicht sogar noch zum Schmunzeln.
Alles läuft heute schneller. Dinge ändern sich in immer kürzeren Zeitabständen. „Visite“ dagegen ist eine Konstante in der schnelllebigen Medienwelt. Wie erklären Sie sich das?
Vera Cordes Das liegt aus meiner Sicht vor allem an zwei Punkten. Der erste ist, dass wir unser Publikum ernst nehmen. Wir greifen Themen auf, die uns Zuschauer und Zuschauerinnen vorschlagen, beantworten in jeder Sendung Fragen, die der Redaktion zugeschickt wurden und helfen den Menschen, mit Ärzten und Ärztinnen einigermaßen auf Augenhöhe zu kommen. Außerdem, und das kann nicht oft genug betont werden, unterliegen wir keinerlei Einfluss von außen – weder von Wirtschaft noch von Politik. Die Leute wissen, dass sie uns vertrauen können. Womit wir beim zweiten Punkt sind: Trotz immer größer werdender medialer Konkurrenz sehen uns jeden Dienstag zwischen einer und eineinhalb Millionen Menschen. Wir sind eine der erfolgreichsten Regelsendungen im NDR. Qualität hat eben doch Bestand.
Auf Basis Ihrer langjährigen Erfahrungen haben Sie im Herbst ein Buch herausgebracht mit dem Titel „Ich hätte da was für Sie“. Wie weit können Sie mit Ihren Gesundheitstipps gehen, wo liegt die Grenze zum ärztlichen Rat?
Vera Cordes Genau genommen gebe ich den ärztlichen Rat von Experten und Expertinnen weiter, die ich im Laufe meines beruflichen Lebens kennengelernt habe. Zum Glück zücken immer mehr Ärztinnen und Ärzte nicht gleich den Rezeptblock oder holen das Skalpell heraus, sondern unterstützen es, wenn Menschen bei gesundheitlichen Problemen auf Selbstwirksamkeit setzen. Die Empfehlungen und Gesundheitstipps in meinem Buch sind Do-it-yourself-Medizin ohne Risiko, aber mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit – egal, ob sie gegen trockene Augen, Beinkrämpfe, Heißhungerattacken, Fersensporn oder Rückenschmerzen wirken. Ich sage das aus eigener Erfahrung, denn die Tipps wurden alle von mir selbst ausprobiert oder von Menschen, die ich kenne. Und sie wirken.
Welche Selbstbehandlung aus Ihrem Buch hat Sie am meisten staunen lassen?
Vera Cordes Gestaunt habe ich über vieles, zum Beispiel auch darüber, dass ein kleines Gläschen Gurkenwasser in der Lage ist, äußerst üble Bein- und Fußkrämpfe in kürzester Zeit zu beenden. Niemand kann das bisher erklären, aber bei mir und anderen funktioniert es. Auch dass man durch Fehlermachen im Alltag sein Gedächtnis trainiert, hätte ich früher nicht gedacht, hat aber eine logische Begründung. Es ist ungemein versöhnlich und stärkt die Selbstliebe, wenn man sich über Alltagsfehler nicht mehr endlos grämt, sondern sie mal mit anderen Augen betrachtet.
Apropos „mit anderen Augen“: Sie sagen, Sie schauen sich die Welt mindestens einmal am Tag auf dem Kopf stehend an. Wieso das?
Vera Cordes Ja das stimmt. Bei mir gibt es kaum einen Tag, an dem ich nicht mindestens einmal, meistens aber öfter in den Handstand schwinge. Gerne auch in den Kopfstand. In meinem Buch habe ich das entsprechende Kapitel überschrieben mit: „Kopf runter, Stimmung rauf – Handstand kann helfen“. Schon als Fünfjährige habe ich in meinem Kinderbett mit Vorliebe auf dem Kopf stehen und mit den Füßen an der Wand lehnend, der Gutenachtgeschichte meines Vaters zugehört. Später beim Kunstturnen und noch später im Sportstudium war Handstand machen die natürlichste Sache der Welt. Und das habe ich einfach bis heute beibehalten. Andere machen Yoga im Schneidersitz, mir tut es gut und erfrischt geradezu Körper und Geist, wenn ich alles mal aus umgedrehter Perspektive betrachte. Und ich rate jedem und jeder, es auch mal zu versuchen, oder auch mal wieder. Für mich ist das das beste Mittel gegen Kopfschmerzen, Verspannungen oder Rückenprobleme. Ich behaupte immer Handstand ist heilsam. Und am allerbesten ist es in der freien Natur. Wie ein Frischekick. Da schießen einem mitunter die besten Ideen in den Kopf. Und manches Problem betrachtet man plötzlich auch mal von einer ganz anderen Seite.
Aktuell haben wir eine Zeit des Umbruchs, in der Menschen sich überfordert fühlen und vieles in Frage stellen – manchmal auch die Medizin. Bietet Ihr Buch dafür auch Lebenshilfe?
Vera Cordes Ja. Ich denke dabei an die neuesten Erkenntnisse der Placeboforschung, die man relativ einfach nutzen kann, um eine Behandlung noch effektiver zu machen. Alles was wir tun müssen ist, Vertrauen in die Therapie zu setzen, die wir bekommen und Körper und Geist so die Chance zu geben, mitheilen zu können. Das klingt jetzt spooky, ist es aber nicht. Dass Gedanken körperliche Prozesse beeinflussen ist ein Fakt und kennt jeder von uns: Denkt man an einen verstorbenen lieben Menschen, kann das Herz einen Schlag aussetzen und ein geradezu schmerzhaftes Gefühl entstehen. Der Gedanke an einen unangenehmen Termin treibt uns den Schweiß auf die Stirn und den Puls in die Höhe. Haben wir gute Gedanken, fühlen wir uns leicht und wohl. Warum soll also das tiefe Vertrauen in Behandler und Behandlung nicht auch positive Effekte freisetzen? Die Placeboforschung hat längst belegen können, dass die Erwartung, mit der wir in eine Therapie gehen, sehr stark den Erfolg beeinflusst. Wichtig deshalb, machen Sie sich bewusst, welche positiven Effekte eine Tablette, eine Infusion oder eine Spritze jetzt, in diesem Augenblick im Körper entfaltet und seien Sie dankbar dafür. Schimpfen Sie nie auf Ihre Medikamente und bezeichnen Sie sie schon gar nicht als Gift, wie es manche tun. Das Unterbewusstsein hört immer mit.
Sie engagieren sich in verschiedenen sozialen Projekten, sind außerdem Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung. Warum ist Ihnen dieses Engagement so wichtig?
Vera Cordes Weil es nicht zu fassen ist, dass bei uns immer noch jedes Jahr hunderttausende Menschen an einer Herz-Kreislauferkrankung oder ihren Folgen sterben. Es ist nach wie vor die häufigste Todesursache. Dennoch unterschätzen viele diese Gefahr und ahnen nicht, dass ihr Herz durch Rhythmusstörungen oder beispielsweise Bluthochdruck gefährdet ist. Die Herzstiftung leistet hier nicht nur eine breite, fundierte und intensive Aufklärungsarbeit, sondern informiert auch jeden Interessierten kostenfrei umfassend über Vorbeugung und zudem über sämtliche heute zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden rund ums Herz. Auch die Forschung wird umfänglich finanziell gefördert. Und all dies wird rein aus den Beitragsgeldern der mehr als 100.000 Mitglieder sowie aus Spenden finanziert. Die Herzstiftung arbeitet komplett unabhängig von der Industrie. Das unterstütze ich gerne.
Ich hätte da was für Sie: Meine besten Tipps, selbst erprobt
Hardcover, 168 Seiten
ISBN 978-3833879722
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