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Dr. Carsten Brosda
Die Zukunft der Kultur

In einer Stadt, die niemals schläft und deren kreativer Puls täglich durch die Straßen vibriert, steht Dr. Carsten Brosda als Architekt der kulturellen Zukunft. Als Kultur- und Mediensenator treibt er mit unverkennbarer Leidenschaft die Weiterentwicklung der Hamburger Kulturlandschaft voran. Dabei geht es nicht nur um den technologischen Wandel, sondern auch um die tiefere Frage, wie Kunst und Kultur in einer zunehmend digitalen Welt ihre Bedeutung behalten und gleichzeitig für alle zugänglich bleiben. Hamburg, vor allem als Hafenstadt bekannt, ist heute auch ein Hotspot der Kreativität, und Brosda hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Impulse aufzunehmen und sie aktiv mitzugestalten. Im Gespräch zeigt er die Leitlinien seiner Kulturpolitik auf und skizziert Lösungen für aktuelle Probleme, z.B. in der Clubkultur.
Sie haben eine bemerkenswerte politische Karriere hinter sich. Was hat Sie dazu inspiriert, gerade in Hamburg im Bereich Kultur und Medien aktiv zu werden und welche Erfahrungen aus Ihrer bisherigen Laufbahn prägen Ihre Arbeit heute?
Dr. Carsten Brosda Mein beruflicher Weg ist im Grunde genommen von Zufällen geprägt. Ich wollte früher Journalist werden, habe das studiert, dabei volontiert und mich immer intensiv mit Kulturjournalismus beschäftigt. Jedoch führte mich mein Weg am Ende in die Politik. In Berlin arbeitete ich für die SPD und war im Bundesarbeitsministerium tätig. 2011 holte mich Olaf Scholz nach Hamburg, damit ich hier die Verantwortung für die Medienpolitik übernehme. Fünf Jahre später wechselte ich in die Kulturbehörde, wo ich zunächst als Staatsrat nicht nur die Medien, sondern auch die Kultur betreute. Nach dem Tod von Barbara Kisseler wurde ich 2017 als Senator ihr Nachfolger und damit der Ansprechpartner für die Kultur. Das fühlte sich ein bisschen wie ein Homecoming an. Nach 20 Jahren in der Politik und Beratung kehrte ich zurück zu Themen, die mir immer wichtig waren. Sehr besonders ist der Umgang mit den vielen leidenschaftlichen Menschen in der Kunst- und Kulturszene. Es erfüllt mich, mit so vielen Überzeugungstätern zusammenzuarbeiten und genau das macht mir hier in Hamburg besonders viel Spaß.
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen als Kultur- und Medien-senator täglich und wie navigieren Sie durch die komplexe Landschaft der Kulturpolitik?
Dr. Carsten Brosda Eine der großen Herausforderungen als Kultur- und Mediensenator ist es, an der Schnittstelle von Kultur und Politik zu sein und zwischen diesen beiden sehr unterschiedlichen Sphären zu übersetzen. Im Kulturbereich, egal ob bei großen Institutionen wie der Staatsoper oder bei kleinen Projekten der freien Kulturszene, eint alle die gleiche Motivation, etwas zu schaffen, zu kreieren und zu verändern. Hier trifft man auf Menschen, die etwas bewirken wollen. Das ist das Faszinierende. In der Politik geht es häufiger als in der Kultur um das Ringen um Macht und das Durchsetzen eigener Interessen. Ich habe das erlebt und kenne die Spielregeln. Manchmal weigere ich mich aber bewusst, bei diesen Spielen mitzumachen. Es ist oft überraschend, wie effektiv es sein kann, wenn man einige der Strategien aus der Kultur in die Politik überträgt. Manchmal führt das sogar schneller zum Ziel.
Wie gehen Sie mit der öffentlichen Kritik an der Kulturförderung um, insbesondere wenn es um die Verteilung von Mitteln geht, und wie entscheiden Sie, wie diese Gelder in einem Bereich mit vielen unterschiedlichen Interessen verteilt werden?
Dr. Carsten Brosda Das Gute ist, dass ich nicht alleine damit umgehen muss. Ich arbeite eng mit meiner Behörde und Expertinnen und Experten zusammen, die sich in den verschiedenen Bereichen sehr gut auskennen. Es ist wichtig, im ständigen Austausch mit den Künstlerinnen und Kreativen zu bleiben und zu verstehen, was sie wirklich brauchen. Kulturpolitik wirkt oft als Vermittlerin zwischen der Politik und der Kulturwelt, da beide sehr unterschiedlich sind. Wir können nie alle Wünsche der Kulturszene erfüllen, denn wir arbeiten immer mit begrenzten Mitteln. Wir versuchen aber immer, sinnvolle und nachhaltige Lösungen zu finden, die tatsächlich den Menschen in den jeweiligen Bereichen der Kultur helfen. Wir setzen auf Transparenz und Kommunikation, sodass auch dann, wenn nicht alles sofort möglich ist, das Vertrauen in uns bleibt.
Was denken Sie über die zukünftige Entwicklung der Kulturförderung in einer immer stärker digitalisierten Welt und wie beeinflusst die Technologie diese Dynamik?
Dr. Carsten Brosda Die Entwicklung der Kultur in unserer immer stärker digitalisierten Welt ist sehr schnell und das sehen wir bereits. Die Kulturförderung muss sich da anpassen, um auch das zu unterstützen, was gerade neu entsteht. Die Digitalisierung weckt einerseits ein starkes Bedürfnis nach realen Erlebnissen, sodass klassische, analoge Kunst weiterhin wichtig bleibt. Andererseits bieten digitale Technologien neue Wege, um Inhalte und Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen. Gleichzeitig entstehen neue Möglichkeiten, um das Publikum direkt zu erreichen: Theaterbesucherinnen und -besucher können etwa am gleichen Abend mit einer After-visit-Mail angeschrieben werden, Feedback geben oder auf kommende Veranstaltungen hingewiesen werden. Diese Veränderungen erfordern ein Umdenken in der Kulturszene, die das oft schon sehr gezielt nutzt, und öffnen neue Ansätze zur Kundenbindung.
Im Bereich der Medien und der Kreativwirtschaft bedeutet das aber auch, gezielt innovative, experimentelle Projekte zu unterstützen, die nicht sofort wirtschaftlich tragfähig sind. Europa muss eine Digitalkompetenz aufbauen, um die digitale Entwicklung nicht nur großen internationalen Plattformen zu überlassen. Aktuell sehen wir das ganz deutlich bei der Entwicklung von AI-Anwendungen.
In einer Welt, die zunehmend online lebt, welche Rolle spielt die Digitalisierung für den Zugang zu Kunst und Kultur und wie stellen Sie sicher, dass diese für alle gesellschaftlichen Gruppen zugänglich bleibt?
Dr. Carsten Brosda Die Digitalisierung spielt eine immer größere Rolle im Zugang zu Kunst und Kultur und kann das analoge Kunsterlebnis auch ergänzen. Ein Beispiel: Der neue Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters, Omer Meir Wellber, lässt in der nächsten Spielzeit für jedes Konzert einen Satz aus Stücken, die auf dem Konzertprogramm stehen, von einem zeitgenössischen Komponisten mit einem neuen Stück überschreiben. Im Konzert wird der neue Satz gespielt. Das fehlende Stück des Originalwerks wird über einen QR-Code auf der Eintrittskarte zugänglich gemacht, sodass Besucher und Besucherinnen es sich online anhören können. Dies ist eine Erweiterung des analogen Erlebnisses durch digitale Möglichkeiten, was vor wenigen Jahren noch undenkbar war.
Anders als in den meisten anderen Bundesländern ist die Kulturbehörde in Hamburg neben der Kulturförderung auch für die Kreativ- und Medienwirtschaft zuständig. Wir schaffen beispielsweise gute Rahmenbedingungen für Innovationen oder kümmern uns um Regelungen zu Urheberrechten, damit Kunst und kreative Inhalte unabhängig von staatlicher Förderung erfolgreich sein können. Ein weiteres Beispiel ist der German Creative Economy Summit, der größte Kreativwirtschaftskongress in Deutschland, den wir gerade zum zweiten Mal veranstaltet haben. Dieses Jahr stand die Frage im Mittelpunkt, wie Künstliche Intelligenz die Kreativwirtschaft verändert und welche Chancen daraus entstehen. Hier findet wichtige Netzwerkarbeit statt. Unser Ziel ist es, nicht nur auf neue Technologien zu reagieren, sondern sie aktiv mitzugestalten und dafür die Plattformen zu schaffen. Das macht die Arbeit so spannend und wichtig für die Zukunft der Kultur- und Kreativwirtschaft.
Welches kulturelle Projekt aus Ihrer Amtszeit hat Sie persönlich am meisten inspiriert und beeindruckt?
Dr. Carsten Brosda Es gibt sehr viele, aber eines der beeindruckendsten war sicherlich die Eröffnung der Elbphilharmonie. Sie ist mittlerweile zu einem wahren Magneten in der Hamburger Kulturlandschaft geworden, und es zeigt sich, dass solche großen Projekte sich langfristig lohnen. Auch wenn der Bauprozess nicht optimal war, hat die fertige Elbphilharmonie eine transformative Wirkung auf die Stadt. Ein weiteres Projekt, das mich besonders inspiriert, ist das „Haus der digitalen Welt“, das wir derzeit entwickeln. Es wird ein innovativer Ort, an dem die Zentralbibliothek, die Volkshochschule und das Jugendinformationszentrum zusammenkommen, und soll zentral am Gerhart-Hauptmann-Platz entstehen. Dieser offene Begegnungsraum soll zu einem „Wohnzimmer der Stadt“ werden, in dem Menschen sich informieren, kommunizieren und kreativ tätig werden können.
Hamburg hat sich als kultureller Hotspot etabliert – welche internationalen Partnerschaften sind für die Stadt besonders wichtig, und wie können diese weiter ausgebaut werden?
Dr. Carsten Brosda Wir haben in Hamburg viele internationale Partnerschaften, die durch die Zusammenarbeit mit Partnerstädten sehr gut funktionieren. In der Kultur werden sie vor allem durch die Künstlerinnen und Künstler, die hierherkommen, sehr lebendig. Diese bringen ihre eigenen Netzwerke mit und schaffen so neue Verbindungen. Wenn beispielsweise der Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter aus Wien oder der designierte Generalmusikdirektor Omer Meir Wellber, der ursprünglich aus Israel kommt, in Hamburg die Leitung großer Institutionen übernehmen, entstehen dadurch Verbindungen, die die Stadt bereichern. Für uns ist es besonders wichtig, Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Ländern zusammenzubringen. Die wahre Magie entsteht, wenn Künstler und Künstlerinnen gemeinsam an neuen Projekten arbeiten. Das sieht man auch bei Ausstellungen in unseren Museen, wo Kunstwerke aus aller Welt kommen, miteinander in Beziehung gesetzt werden oder von internationalen Künstlerinnen und Künstlern neu geschaffen werden. Diese Kooperationen sind immer am spannendsten, wenn etwas Neues entsteht und alle das Gefühl haben, an etwas gemeinsam Entwickeltem teilzuhaben. Genau das fördern wir, weil solche Verbindungen langfristig und nachhaltig wirken.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Finanzierung kleinerer, unabhängiger Kulturprojekte und wie können diese langfristig gesichert werden?
Dr. Carsten Brosda Das ist in der Tat komplex. Wir haben auf der einen Seite große städtische Institutionen wie Theater und Museen, die feste Budgets und regelmäßige Förderungen erhalten. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche kleinere Projekte und freie Initiativen, die aus spezifischen Töpfen gefördert werden, etwa für Theaterprojekte oder Kunst im öffentlichen Raum. Wir setzen Jurys ein, die aus Expertinnen und Experten aus den jeweiligen künstlerischen Sparten bestehen und die Projekte auswählen, die wir fördern. So stellen wir sicher, dass die Auswahl nicht von politischen Entscheidungen abhängt, sondern unabhängig und nach künstlerischen Kriterien getroffen wird. Wenn ein Projekt ausgewählt ist, unterstützen wir es dann auch bei der Umsetzung, zum Beispiel bei Genehmigungen oder der Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt. Da die Mittel begrenzt sind, ist es nie möglich, allen Wünschen gerecht zu werden, aber wir versuchen, die Prozesse so transparent wie möglich zu gestalten, damit die Vertrauensbasis bleibt und langfristig wirkt. Es geht darum, eine faire Struktur zu schaffen, die es auch neuen Ideen und Projekten ermöglicht, sich zu entfalten.
Welche konkreten Schritte sind notwendig, um Kunst und Kultur stärker in den Bildungsbereich zu integrieren? Gibt es neue Programme oder Initiativen, die Sie ins Leben gerufen haben oder noch planen?
Dr. Carsten Brosda Ja, eine ganze Menge. Wir haben letztes Jahr ein Rahmenkonzept für Kinder- und Jugendkultur entwickelt, gemeinsam mit der Schulbehörde. Ein zentraler Punkt dabei war, dass Kinder und Jugendliche selbst ein Kinderkulturmanifest geschrieben haben, das dann ins Konzept einfloss. Sie konnten darin ihre Wünsche und Erwartungen an Kunst und Kultur formulieren. Die Wünsche waren sehr vielfältig, angefangen bei einfachen Dingen wie Buntstiften, um selbst zu malen, bis hin zur Idee, dass Künstlerinnen und Künstler auch für Kinder und Jugendliche kostenlose Konzerte am Nachmittag geben könnten. Mit Lehrerinnen und Lehrern, Pädagoginnen und Pädagogen, Künstlerinnen und Künstlern haben wir dann überlegt, wie wir konkrete Projekte umsetzen können. Wir haben uns die Frage gestellt, wie wir Künstler und Künstlerinnen an Schulen bringen und Theater und Museen als außerschulische Lernorte nutzen können. Ein Beispiel für ein tolles Projekt, das wir unterstützen, ist von Emmanuel Peterfalvi alias Alfons, der in seinem Bühnenprogramm von seiner Familiengeschichte erzählt und anschließend mit den Schülerinnen und Schülern darüber spricht, wie er die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat und wie seine Großmutter Auschwitz überlebte. Es geht insgesamt darum, wie wir Jugendliche regelmäßig mit Kultur in Kontakt bringen, sei es durch ein Festival, einen Besuch im Theater oder eigene kreative Kurse. Wichtig ist, dass wir die Schwellen für Jugendliche senken, damit sie Kultur erleben können. Das neue Rahmenkonzept ist der erste Schritt und ich hoffe, es wird in den nächsten Jahren viel in Bewegung bringen.
Könnte die Club- und Tanzkultur in Hamburg wieder stärker in verschiedene Stadtteile integriert werden, um die Szene positiv zu fördern und gleichzeitig ein sicheres Umfeld zu schaffen?
Dr. Carsten Brosda Ja, das ist ein wichtiges Thema. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Clubkultur verlagert. Früher gab es Orte wie Onkel Pö in Eppendorf oder Clubs in Blankenese, die heute nicht mehr existieren. Die Clubszene verändert sich auch, wenn immer mehr Leute in Stadtteile ziehen, die sich ein ruhiges Umfeld wünschen. Es geht bei der Förderung der Clubkultur immer auch darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Clubs ein wichtiger Teil der Kultur sind. Hamburg hat den Vorteil einer kompakten Clubszene rund um St. Pauli, was auch die Livemusik-Szene fördert. Aber wir schaffen auch neue Orte, wie die Clubs in den Deichtorhallen-Kasematten, wo einige der Sternbrücken-Clubs eine neue Heimat gefunden haben, oder in der Nähe der Rindermarkthalle, wo das Grünspan während der Sanierung einen Ausweichstandort bekommt. Zudem haben wir einen Runden Tisch für den Dialog zwischen Clubs, Akteurinnen und Akteuren der Stadt und der Stadtteile eingerichtet, um Konflikte frühzeitig zu erkennen und gemeinsam zu lösen. Wir unterstützen Clubs auf vielfältige Weise, auch finanziell, etwa bei Umzügen oder beim Lärmschutz. Wir arbeiten daran, die Clubszene auch in anderen Stadtteilen zu stärken.
Was sind Ihre langfristigen Ziele und Visionen für die Kulturpolitik in Hamburg und welche Veränderungen möchten Sie in den kommenden Jahren noch sehen?
Dr. Carsten Brosda Ich hoffe, dass die Stadt sich immer weiter so in die Kultur verliebt, wie es mit der Elbphilharmonie begonnen hat. Seit der Eröffnung hat Hamburg erkannt, wie wichtig Kultur für die Identität der Stadt ist. Für mich war Hamburg schon als Jugendlicher eine der spannendsten Städte. Immer wenn ich hierherkam, habe ich mich gefragt, warum das von den Hamburgerinnen und Hamburgern selbst nicht viel mehr gewürdigt wird. Aber seitdem hat sich viel verändert. Viele Menschen kommen wegen der Kultur hierher und das ist etwas, worauf wir stolz sein können. Mein Wunsch ist es, dieses Bewusstsein weiter zu stärken. Hamburg soll ein Ort bleiben, an dem Kreative sich ausprobieren können, auch wenn es mal schiefgeht oder provoziert. Wir brauchen diese Freiräume, damit Kreativität und Innovation entstehen können. Wenn es uns gelingt, diese Offenheit weiter zu festigen, dann habe ich das Gefühl, mit meiner Kulturpolitik etwas bewirken zu können.
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