Books
Jil Sander
Die Rückkehr der Stille und des Minimalismus

Sie hat das gemacht, was in der Mode selten ist: sie hat sich entzogen, um die Lautheit des Augenblicks zu umgehen. So möchte ich sie schildern – aus meiner Sicht, aus meiner Recherche und mit großer Hochachtung für das, was sie geleistet hat:
Jil Sander, die Unermüdliche, die Rückkehrerin, die Kluge.
Anfangsjahre
Es war 1968, als eine junge Frau aus der Nähe Hamburgs ihre Vision in die Welt setzte. Mit ihrer ersten Boutique in Hamburg markierte sie den Beginn einer Revolution – nicht durch Aufschrei, sondern durch einen leisen, nahezu sanften Aufbruch in die Ästhetik des Wenigen. Minimalismus, so scheint es mir, war weniger ein Ziel als eine Bedingung für die Reinheit, die sie suchte. Als Modedesignerin studierte sie Textilgestaltung in Krefeld und absolvierte einige Zeit in den USA – Erfahrungen, die ihren Blick auf die Funktionalität und Klarheit prägten.
Ihre frühen Kollektionen waren kühn in ihrer Einfachheit. Während andere Designer sich in Ornamentik und Extravaganzen verstrickten, entwarf sie scharf geschnittene, klare Linien, die den Körper umspielten, anstatt ihn zu verhüllen. Sie schuf eine Mode, die sich nicht anbiederte, sondern schlichtweg vorhanden war, wie eine gut gebaute Brücke.
Internationale Expansion
Die 80er Jahre brachten der Welt Jil Sanders Namen in das kollektive Modebewusstsein. Es war ihre internationale Expansion, die ihren Platz in der Modegeschichte festigte. Als sie 1973 ihre eigene Firma gründete, wuchs ihr Einfluss kontinuierlich – zunächst in Europa, dann in den USA und Japan. Ihre Kleidung, oft in gedeckten Tönen und präzisen Schnitten, sprach eine Sprache, die Universalität und Zeitlosigkeit in sich trug. Auch wenn sie das Gegenteil eines Exportschlagers sein wollte, wurde sie dennoch zu einem globalen Phänomen.
Den eigentlichen Durchbruch erlebte sie in den 90er Jahren, als der Minimalismus in der Mode die Bühne eroberte. Sie stand an der Spitze dieses Trends – nicht, weil sie ihn erfand, sondern weil sie ihn schon lange vor den anderen beherrschte. Ihre internationale Expansion war daher nicht das Resultat einer Modewelle, sondern der Anerkennung einer ästhetischen Vision, die über die Zeit hinauswuchs.

Verkauf und Rückzug
Im Jahr 1999 verkaufte Jil Sander ihr Unternehmen an die Prada Group – eine Entscheidung, die sowohl überraschte als auch fasziniert. Für mich schien es, als würde sie versuchen, sich neu zu erfinden, indem sie ihre eigene Kreation in andere Hände legte. Doch was folgte, war das Unvermeidliche: der Rückzug. Sander war nie eine, die Kompromisse machte, wenn es um ihre Kunst ging. Der Konflikt mit dem neuen Management war vorprogrammiert und nur wenige Monate nach dem Verkauf verließ sie das Unternehmen.
Dieser Rückzug war wie ein Laut, der aus der Stille kommt. Es war nicht das erste Mal, dass sie ging, aber es war sicherlich das eindrücklichste. Die Modewelt sah die Gründerin gehen und wartete gespannt auf die Rückkehr, die fast unvermeidlich schien.
Rückkehr und Abschied
Und tatsächlich – sie kehrte zurück. Zwei Mal, um genau zu sein. Im Jahr 2003 und noch einmal 2012. Jil Sanders Rückkehr war nicht von Pomp und Gloria begleitet, sondern vielmehr von einer nüchternen Akzeptanz, dass sie, und nur sie allein, die Richtung ihrer Marke bestimmen konnte. Diese Rückkehr war keine Geste der Nostalgie, sondern das Resultat einer tiefen Überzeugung: Sie hatte noch etwas zu sagen. Und jedes Mal, wenn sie ging, ließ sie das Gefühl zurück, dass etwas von fundamentaler Bedeutung fehlte.
Es war 2013, als sie endgültig ihren Abschied nahm. Die Marke Jil Sander existierte weiter, aber die Frau hinter dieser Marke zog sich zurück, so diskret, wie sie einst begonnen hatte. Ein Kreis hatte sich geschlossen – und doch schien er immer noch offen zu sein.
Stil
Sie war und ist die Designerin des „Weniger ist mehr“. Ihre Mode war nie laut, nie überladen. Sie entwarf für Frauen, die sich nicht durch Kleidung definieren, sondern die Kleidung als Werkzeug der Selbstverwirklichung nutzen. Ihre Schnitte, stets präzise, ihre Farbpalette, zurückhaltend und klar – all das reflektierte ihre Philosophie der Reduktion. Der Körper der Trägerin war nie versteckt, sondern betont durch die Einfachheit ihrer Entwürfe. Es war eine Kunst, die darin bestand, nicht zu viel und nicht zu wenig zu tun.
Ihre Entwürfe waren wie Gedanken, die sich von der Welt abkapseln und in der Reinheit der Form aufgehen. Sie schuf Räume der Stille inmitten der lauten Modewelt.
Privates
Über das Privatleben von Jil Sander wurde wenig bekannt. Sie war eine Frau, die die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatem sorgfältig bewachte. Ihre Zurückhaltung in dieser Hinsicht war fast ebenso legendär wie ihre Mode. Was bekannt ist, ist ihre tiefe Verbundenheit zur Kunst und Architektur, die sie immer wieder inspirierte. Man könnte sagen, dass diese Inspirationsquellen ihr Verständnis von Raum und Form maßgeblich prägten.
Ehrungen
- 1996 Bundesverdienstkreuz
- 2004 Ehrenpreis der Londoner Modeakademie
- 2010 Auszeichnung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie für kulturelle Verdienste
- 2018 Compasso d‘Oro für ihr Lebenswerk in der Modeindustrie
Es gibt Menschen, die sich in die Welt hineinschreiben, indem sie sie lauter und bunter machen. Und es gibt Menschen wie Jil Sander, die der Welt das Geschenk des Weglassens geben. In einer Zeit der Übertreibung hat sie vielen beigebracht, das Schweigen zu hören.

Ihr neues Buch
Es gibt Bücher, die mehr sind als gedruckte Worte. Sie sind Artefakte, die eine Geschichte erzählen, die nicht nur gelesen, sondern erfahren werden will. Jil Sander by Jil Sander ist solch ein Buch. Ein Werk, das in seiner physischen Präsenz, seiner sorgfältigen Gestaltung und in den großzügigen Abbildungen von 525 Fotografien nicht nur das Leben und Schaffen einer der einflussreichsten Designerinnen unserer Zeit dokumentiert – es ist eine stille Manifestation der Philosophie, die Sander seit Jahrzehnten verfolgt: „Weniger ist mehr.“
Dieses Buch, gebunden, schwer, 28 mal 28 Zentimeter, mit Texten von Ingeborg Harms und gestaltet von der meisterhaften Irma Boom, ist wie die Werke Jil Sanders selbst – elegant, zurückhaltend und dennoch von einer Intensität, die ihre Stille durchdringt. Hier begegnet man nicht nur einer Designerin, sondern einer Frau, deren Blick auf Mode, Kosmetik und Architektur unsere Wahrnehmung von Ästhetik nachhaltig verändert hat.
Sander öffnet in diesem Werk ihre Archive, gibt Einblicke in ihr Schaffen und macht es möglich, ihrer Kunst nahe zu kommen. Die Fotografien von Größen wie Peter Lindbergh, David Sims, Nick Knight und Craig McDean fangen die Klarheit und Präzision ihrer Kreationen ein, während unveröffentlichtes Archivmaterial uns den kreativen Prozessen einer Frau näherbringt, die Trends niemals folgte, sondern stets ihrer eigenen, kompromisslosen Vision.
Die Zeitspanne, die hier auf 360 Seiten gebannt ist, umfasst Jahrzehnte – von den späten 60ern, als Jil Sander ihre ersten Schritte in der Modewelt machte, bis zu ihrer legendären Zusammenarbeit mit Uniqlo, wo sie die Linie +J schuf. Doch dieses Buch ist keine bloße Chronologie einer Karriere. Es ist ein Bekenntnis zu einer Idee. Jil Sander verstand Mode nie als flüchtigen Ausdruck, sondern als dauerhafte, fast architektonische Form von Kultur. Und genau diese Form von Kultur spiegelt sich in ihren Kollektionen, in ihren Kosmetiklinien und sogar in der Innengestaltung ihrer Flagshipstores wider.
Und was bleibt, nachdem man dieses Buch aufgeschlagen und durchwandert hat? Vielleicht ein Zitat, das irgendwo am Rande dieses Stils steht: „Es gibt nichts, das man hinzufügen könnte, ohne alles zu zerstören.“ So ist auch Jil Sander by Jil Sander. Vollkommen, in sich ruhend, und von einer Reduktion, die auf etwas Größeres verweist.
Dies ist nicht nur ein Buch für Modebegeisterte. Es ist für Menschen, die Schönheit im Einfachen sehen, die wissen, dass es eine Kunst ist, etwas wegzulassen. Und vielleicht ist dies die größte Lektion, die uns Jil Sander hinterlässt: dass wahre Eleganz in der Leere liegt, im Unausgesprochenen, im Raum, den wir unseren Gedanken lassen.

Jil Sander by Jil Sander
Gebundene Ausgabe, 360 Seiten
Verlag: Prestel Verlag
ISBN: 978-3791389530
Einen Kommentar schreiben