Art & Design
Jeannine Platz
Die Poesie des Handgeschriebenen
Jeannine, wenn ich mich hier umschaue, spüre ich, dass jede Zeile, die du schreibst, eine Geschichte erzählt. Was bedeutet Kalligraphie für dich?
Jeannine Platz Kalligraphie ist für mich viel mehr als eine bloße Technik. Es ist eine Art, etwas sehr Persönliches auszudrücken, eine Spur zu hinterlassen. Wenn ich zur Feder greife, habe ich die Verantwortung, jedes Wort, jeden Strich ganz bewusst zu setzen. Es geht nicht nur um die Ästhetik, sondern um die Beziehung, die ich durch die Schrift zum Papier und letztlich zum Betrachter aufbaue. In einer Welt, die immer schneller und digitaler wird, bedeutet mir das Handgeschriebene sehr viel.
Große Namen wie Chanel, Montblanc und Cartier beauftragen dich, um ihre Einladungen, Menükarten und andere Papeterie zu gestalten. Jedes dieser Häuser wünscht sich einen individuellen Stil – wie findest du die richtige Schrift für jeden Kunden?
Jeannine Platz Es ist ein wenig wie ein Tanz. Man nähert sich der Seele eines Unternehmens, spürt, was zu ihm passt. Chanel zum Beispiel wünscht sich eine klassische, sehr klare Linie. Sie ist zurückhaltend und elegant, fast zeitlos. Die Berenberg Bank hingegen mag es schwungvoll, mit einer gewissen Leichtigkeit und Anmut. Und Agent Provocateur liebt es expressiv – eine Schrift, die ein wenig verwegen wirkt. Es ist, als ob ich ein Stück der Marke nehme und auf Papier bringe, etwas, das gleichzeitig zu mir gehört, aber auch seine eigene Geschichte erzählt.
Du wurdest vor 25 Jahren von einer PR-Agentur entdeckt und warst ein Geheimtipp in Prominentenkreisen. Heute stehen hier Einladungen für Karl Lagerfeld, Hochzeiten von Stars, Einladungen von Wirtschaftsgrößen und ein schier unendliches Sammelsurium an Aufträgen. Wie hat sich deine Reise entwickelt?
Jeannine Platz Es war eine wunderschöne Reise, die mich zu vielen Orten geführt hat. Zuerst waren es die Aufträge aus Hamburg, dann kamen die internationalen Kunden. Wenn ich auf all die Hochzeiten und Feierlichkeiten zurückblicke, die ich begleiten durfte – es sind Momente, die in Erinnerung bleiben. Ich sehe meine Arbeit als kleinen Beitrag zu einem festlichen Anlass, zu einem besonderen Augenblick im Leben dieser Menschen.
Dein Atelier ist aber auch eine Werkstatt für Performancekunst. Du lässt dir oft über die Schulter schauen und trittst mit deinen Performances bei Hermès, Louis Vuitton und sogar am monegassischen Fürstenhof auf. Was bedeutet dir diese Nähe zum Publikum?
Jeannine Platz Es ist fast wie eine Liebeserklärung an das Handwerk. Wenn Menschen zuschauen, sehen sie die Entstehung, das Fließen der Linien. Sie merken, dass da eine echte Verbindung zur Schrift besteht. Ich liebe es, die Leute in die Welt des Handgeschriebenen zu entführen und ihnen zu zeigen, dass Kalligraphie eine ganz eigene Art der Kommunikation ist – ein bisschen wie eine Sprache, die man liest und spürt. Diese Performances sind auch eine Möglichkeit, mein Handwerk zu feiern und den Menschen näherzubringen.
Du hast das Projekt „Words in Motion“ ins Leben gerufen – eine Hommage an die Handschrift. Was hat es damit auf sich?
Jeannine Platz „Words in Motion“ ist meine Art, der Handschrift zu huldigen und ihre lebendige Kraft zu zeigen. Es ging mir darum, die Schrift auf verschiedene Medien zu übertragen – Leinwand, handgeschöpftes Papier, Kunstleder und sogar Bronzeskulpturen. Bei der Ausstellung in der Barlach Halle K wollte ich zeigen, dass Schrift lebendig und dynamisch ist, dass sie sich bewegt und die Menschen bewegt. Es ist ein Dialog zwischen der Schrift und dem Betrachter, etwas sehr Persönliches und gleichzeitig Universelles.
Ein weiteres außergewöhnliches Projekt von dir ist „Message on a Box“ – ein kunstvoll gestalteter Container, den du um die Welt geschickt hast. Was war die Idee dahinter?
Jeannine Platz Der Container war eine symbolische Reise, eine Botschaft der Einheit. Ich wollte mit ihm zeigen, dass Handschrift und Kunst auch auf einem Container wirken können, dass sie Menschen weltweit verbinden. Er war über ein Jahr lang unterwegs und kehrte schließlich nach Hamburg zurück, wo er im Maritimen Museum ausgestellt und von Sotheby’s versteigert wurde. Es war bewegend zu sehen, wie ein solches Kunstwerk eine Botschaft über Kontinente hinweg transportiert.
Deine Kunst geht weit über das Atelier hinaus – du malst auf Betonwänden, gibst Performances in Städten wie New York, Los Angeles und Bangkok. Was reizt dich an diesen Kunstaktionen im öffentlichen Raum?
Jeannine Platz Der öffentliche Raum ist unberechenbar und voller Leben. Es gibt nichts Statisches an ihm und das passt zu meiner Art, Kunst zu machen. Es geht um die Spontaneität, um das Eintauchen in eine neue Umgebung und das Einfangen dessen, was sie ausstrahlt. Ein Ort hat seine eigene Sprache und wenn ich dort schreibe, ist es wie ein Gespräch mit dem Ort selbst. Am Ende geht es mir darum, etwas Schönes zu hinterlassen, einen Moment der Berührung.
Dein neuestes Projekt, „THE VOICE ON MY SKIN“, macht Musik sichtbar. Du kalligraphierst die Texte von Liedern direkt auf die Haut der Sänger und arbeitest mit dem Fotografen Wieglas zusammen. Wie kamst du auf diese Idee?
Jeannine Platz Musik ist für mich eine sehr emotionale Sprache. Sie berührt uns tief, oft ohne dass wir es merken. Mit „THE VOICE ON MY SKIN“ wollte ich diese Nähe, diese Intimität sichtbar machen, indem ich die Texte direkt auf die Haut schreibe. Es ist eine Hommage an die Musik und an die Kraft des geschriebenen Wortes. Zusammen mit Wieglas wird daraus eine künstlerische Verbindung von Schrift und Fotografie, die die Essenz eines Liedes einfängt und auf ganz neue Weise erfahrbar macht.
Zum Abschluss, was treibt dich, jeden Tag neu zur Feder zu greifen?
Jeannine Platz Es ist der Wunsch, Spuren zu hinterlassen, Menschen zu berühren. Handschrift ist etwas sehr Persönliches, sie zeigt immer einen Teil von mir, und wenn ich jemanden damit für einen Moment zum Innehalten bringen kann, dann ist das alles, was ich mir wünsche.
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