Hamburg Hilft
Point of View: Iris Herzog
Die Fotografie hält mich mitten im Leben!
Point of View
OPIUM stellt Hamburger Fotograf*innen und ihren individuellen Blick auf unsere Stadt vor.
Moin Iris, Du wohnst jetzt in der Metropolregion Hamburg. Wo kommst Du eigentlich ursprünglich her?
Iris Herzog Ich komme aus Thüringen und bin 1958 in Nordhausen geboren.
Ah, Nordhausen kenn ich. Schöne, kleine Altstadt.
Iris Herzog Stimmt. Während meiner Schulzeit war ich auf einer Spezialschule für Sport in Erfurt. Habe dann später Sportwissenschaft studiert und mit den Diplomen als Trainerin und Sportlehrerin erfolgreich abgeschlossen.
Glückwunsch! Machst Du in der Richtung heute noch was?
Iris Herzog Nein, überhaupt nicht. Nach der Grenzöffnung hat mein Mann einen Job in Niedersachsen angenommen. Gleichzeitig habe auch ich mich total neu orientiert. Aufgrund meiner pädagogischen Vorbildung, habe ich eine Fachschulausbildung im EDV-Bereich zum Lern-System-Lektor absolviert. Das hat mir 1992 den Einstieg in die Welt der Datenbanken ermöglicht. So war ich lange Zeit im Verlagswesen tätig, vertretungsweise auch im Bereich Layout, was ja schon mal ein kleiner kreativer Anfang war …
Na bitte, geht doch. Manchmal gelingt der Einstieg eben anders als man denkt …
Iris Herzog Der Einstieg in die Fotografie lag noch in weiter Ferne. Durch meine beruflichen Nebentätigkeiten, der Datenbankerstellung unter MS Access, bin ich schon in Kontakt gekommen mit kreativen Unternehmen aus dem Musikbusiness, wie zum Beispiel Ganser & Hanke …
Ach was, die waren doch in der Musikvermarktung ganz weit vorne! Das erinnere ich noch. Im Musikbusiness auf jeden Fall eine angesagte Größe!
Iris Herzog Stimmt, für die habe ich die erste individuelle Vertriebsdatenbank für CDs entwickelt. „Frühstück bei Stefanie“ haben die u.a. für den NDR auf CD vertrieben.
Die Serie war lustig!
Iris Herzog Fand ich auch. Trotzdem war mein berufliches Vorleben eher ART-fremd.
Aber Du hattest damals schon künstlerische Ambitionen? Wie bist Du denn generell zu Kunst und Fotografie gekommen?
Iris Herzog Wenn man von meinem generellen Interesse an Literatur, Film, Theater und Fotografie mal absieht, hätte ich gerne gezeichnet oder gemalt, aber dazu hat mein Talent leider nicht ausgereicht. Erst die digitale Fotografie und die Bildbearbeitung haben mir die Möglichkeit eröffnet, in irgendeiner Form kreativ zu sein.
Also doch.
Iris Herzog In der Tat, dann doch! Über das „Verlagslayouten“ hat sich bei mir Freude am Desktop Publishing entwickelt. Und durch einen Zufall hatte ich zu jener Zeit in einer nebenberuflichen Tätigkeit Werbematerialien Flyer, Werbepostkarten und Visitenkarten erstellt.
Eine Kundin wollte für ihren kleinen Laden mit Schmuck, Bildern und Keramik gern eine Werbepostkarte haben, hatte aber keine Fotos dafür. Da bin ich kurzerhand mit meiner kleinen Digitalkamera aktiv geworden und habe die Fotos selber gemacht. Photoshop war mir ja nicht fremd und schon hatte ich nutzbare Bilder. Da ich auch den Laden mit drauf bringen sollte, musste ich nochmal ran, habe dabei Stunden zugebracht und Unmengen an Fotomaterial fabriziert! Schlussendlich habe ich nur eins davon verwendet! Egal, es hat einfach Spaß gemacht.
Das ist das Wichtigste überhaupt – die Arbeit muss Spaß bringen!
Iris Herzog Absolut, da hast Du Recht! Drei Wochen später kaufte ich mir meine erste „bessere“ Kamera, eine Sony Alpha 35. Ab da ging es los mit der „Knipserei“. Mehr war es zunächst nicht. Ich habe mir dann aber über Begleitbücher zum Fotoapparat und Fachbücher über die Technik des Fotografierens einiges angeeignet. Ich wollte unbedingt die Frustgrenze minimieren und über die Masse an technisch sehr missratenen Bildern hinauskommen. Als ich das geschafft hatte, ging es eigentlich erst richtig los.
Den Eindruck habe ich auch! Deine Fotoergebnisse sprechen für sich!
Iris Herzog Dankeschön. Aber es war ein Prozess. Ich entdeckte ganz schnell, welche Freude es mir bereitete, banale funktionelle Dinge des Alltags aus dem Zusammenhang zu reißen und ihnen damit einen ganz anderen Stellenwert zu geben – allein durch meine eigene und sehr andere Art der Betrachtungsweise. Aus ungewöhnlichen Perspektiven, z.B. Architektur zu fotografieren, lag dann irgendwie auch sehr nahe. Hamburg bietet ja hier ein absolutes Eldorado.
Hast Du eine bestimmte Vorgehensweise?
Iris Herzog Das könnte man tatsächlich so sagen. Für meine Bilder durchstreife ich oft, zunächst ziellos, bestimmte Stadtgebiete Hamburgs. So habe ich mitunter dem Zufall neue Bildideen und Serien zu verdanken, z.B. die stetig wachsende Serie „Einsichten“.
Der Blick mit der Kamera durch ein Fenster, da die Gebäude einfach geschlossen waren. Das Fensterglas, mit seinen Reflexionen, Verschmutzungen und Kratzern, wirkt wie ein besonderer Filter und eröffnet so ungewöhnliche Möglichkeiten, die sich für mich bei der gezielten Bearbeitung danach nutzen lassen. Das ist sicher nicht neu in der Fotografie, für mich aber eine Möglichkeit, meiner Experimentierfreude freien Lauf zu lassen.
War es schon immer die Fotografie, die Dich fasziniert hat oder hattest Du verschiedenste Stile und Ausdrucksformen in Deiner Kunst ausprobiert?
Iris Herzog Die Antwort darauf ist kurz und knapp: es war immer nur die Fotografie!
Worauf führst Du Deine Entwicklung in der Fotografie zurück?
Iris Herzog Ich habe ein „gutes Auge“! Ich sehe Dinge, die andere Menschen eventuell gar nicht wahrnehmen. Dabei spielt die Fantasie eine große Rolle. Ich bin ein guter Beobachter. Mit dem Betrachten von Objekten nehme ich Stimmungen und Empfindungen auf, die sich dann auch in meinen Bildern zeigen. Ich bin experimentierfreudig und schaue einfach offen in die Welt.
Welchen Stellenwert hat die Fotografie bei Dir? Welchen Raum nimmt sie in Deinem Leben ein?
Iris Herzog Sie hält mich mitten im Leben! Sie ist immer wieder aufs Neue spannend und mitreißend, herausfordernd, eröffnet mir, im wahrsten Sinne des Wortes, neue Perspektiven, ist Nahrung für Geist und Seele, entspannt, lässt mich wirklich alles um mich herum vergessen und hat mich so oft genug durch dunkle Zeiten im Leben getragen! Ich habe einen ganz anderen Blick, nicht nur auf Hamburg, gewonnen. Die Stadt erschien mir in jüngeren Jahren wenig verlockend. Heutzutage bin ich von Hamburg fasziniert und es zieht mich immer wieder aufs Neue dorthin. Ich möchte sogar so weit gehen, dass die Fotografie mich offener und lockerer durchs Leben gehen lässt – und – durch sie hat sich meine Sicht auf die Welt sehr stark verändert.
Inwiefern?
Iris Herzog Mit dem Blick durch die Kamera habe ich gelernt, genauer hinzusehen und offen für neue und ungewöhnliche Eindrücke zu bleiben. Fototechnisch ausgedrückt, einen Perspektivwechsel vorzunehmen, anstatt „liebgewonnene“ Vorurteile zu kultivieren. Die Welt ist bunt und die Menschen unglaublich vielfältig und kreativ.
Worauf kommt es Dir besonders bei der Fotografie an?
Iris Herzog Ich bin kein exzellenter „Handwerker“, was die reine Technik des Fotografierens anbelangt. Die Kamera ist für mich mehr Mittel zum Zweck. Bei mir wird aus dem Foto ein Bild, nicht zuletzt durch die Bearbeitung. Wobei das Bild im Kopf in seiner Endfassung schon Gestalt annimmt, bevor ich auf den Auslöser drücke. Die Bildidee entsteht in der Regel schon direkt beim Motivfund. Bei den „großen“ Fotografen ist das Foto gleichzeitig auch das Bild. Das ist für mich die höchste Form der Fotografie, da entsteht (Foto)-Kunst!
Was ist für Dich selbst in der Fotografie wichtig?
Iris Herzog Ein Bild soll für den Betrachter widerspiegeln, was ich sehe und nicht, was die Kamera in diesem Moment aufnahm. Das kann dann auch ganz weit von der Realität entfernt sein. Zur weiteren Beschreibung dazu, passt sehr gut die zentrale Aussage auf meinem Profil in der Fotocommunity: „Die Welt ist spannend durch ihre Vielfalt und sie bleibt spannend, wenn wir die ganz persönliche Sicht jedes Einzelnen darauf zulassen.“
Des Weiteren heißt es auf meiner Website: „Meine Arbeiten entstehen durch die Verbindung von Fotografie, Bildbearbeitung und Bildgestaltung, z.B. herausgelöste Details aus dem Alltäglichen, die für sich stehend wieder das Besondere darstellen. Der Schwerpunkt meiner Bildsprache liegt in ihrer besonderen perspektivischen Sicht und der Plastizität der Objekte bzw. Szenen. Dabei nutze ich oft intensive Farben als gestaltendes Element.“ Seit einiger Zeit nutze ich auch die Umsetzung auf schwarz-weiß. Besonders Architekturbilder gewinnen damit an Intensität. Das ist zwar in der Fotografie keine Neuigkeit – zu dieser Sichtweise musste ich persönlich aber erst mal „hinfinden“.
Nach welchen Kriterien suchst Du Deine Motive aus?
Iris Herzog Wenn beim Betrachten bei mir im Kopf sofort ein Bild entsteht, ist es das richtige Motiv.
Du scheinst die ungewöhnlichen Motive und Perspektiven zu bevorzugen. Warum?
Iris Herzog Ich will’s mal so ausdrücken: Einen Film finden wir in der Regel langweilig, wenn er die Realität, z.B. des täglichen Lebens abbildet. Es sei denn er ist dokumentarisch gemeint. So sehe ich es auch bei meinen Bildern. Das Hamburger Gängeviertel ist z.B. so ein ungewöhnlicher Ort für mich. Seit Jahren treibt es mich immer wieder dorthin. Das Viertel lebt und ist im ständigen, sichtbaren Wandel. Kunst, Kultur und Soziales prägen das Gesicht des Viertels. Ich habe und nutze die Möglichkeit, diesen Wandel auch bildlich zu dokumentieren. Durch meine, mitunter intensive Bildbearbeitung und damit Veränderung, füge ich etwas ganz Individuelles von mir hinzu. Und wenn es nur eine besondere Perspektive, intensivere Farbe oder eine komplette farbliche Umgestaltung ist – „ich bin dann ein winziger Teil von diesem steten Wandel.“
Die Fotovorlage allein als künstlerischer Ausdruck reicht Dir nicht, Du bearbeitest Deine Fotos zusätzlich noch. Was reizt Dich daran?
Iris Herzog Zuerst möchte ich bei dieser Frage mal grundlegend etwas zum künstlerischen Ausdruck sagen. Für mich entsteht Kunst im „Auge des Betrachters“. Ob man meine Arbeiten als Kunst betrachten kann oder nicht, sollten die entscheiden, die sich dafür „entscheiden“ überhaupt einmal meine Bilder anzusehen. Selbst dann, ist in der Regel die Kunst immer noch meilenweit entfernt – jedenfalls aus meiner Sicht. Ich mache etwas, was mir ganz persönlich Freude macht, mich ausfüllt und mitten im Leben hält.
Wenn sich der Betrachter dafür entscheidet, dass es sich hier lohnt länger hinzusehen, dann ist das für mich schon mehr, als man bei der täglichen Bilderflut erwarten kann. Sollte er das Bild, sagen wir mal – so faszinierend finden, dass er es sich in sein Wohnzimmer oder wohin auch immer hängen möchte, dann ist es natürlich toll, wenn er bereit ist, dafür einen angemessenen Preis zu zahlen. Geld ist in unserer Gesellschaft – ohne Bedingungsloses Grundeinkommen – doch immer noch die höchste Form der Anerkennung!
Stimmt. Wie wir gerade verstärkt hören, ist Kunst systemrelevant. Deshalb sollte sich der Wert der Kunst für die Gesellschaft unbedingt in einem entsprechenden Honorar niederschlagen! Aber nochmal zum zweiten Teil meiner Frage. Was reizt Dich an der Bearbeitung und was willst Du damit herausarbeiten?
Iris Herzog Ich möchte erreichen, dass der Betrachter meiner Bilder innehält und sich sagt: „Oh, diesen Ort, dieses Objekt oder dieses Motiv kenne ich. Daran bin ich schon oft vorbeigelaufen, es ist alltäglich für mich. Doch so, wie es hier gezeigt wird, habe ich es noch nie gesehen – ich entdecke es gerade neu.“ Meine Bilder spiegeln durch die Bearbeitung manchmal besondere Stimmungen wider, etwa vom Augenblick der Aufnahme oder von der finalen Bearbeitung. Oft genug sind die Bearbeitungen allerdings einfach „nur“ experimentell – mal sehen, was dabei entsteht. Immer einen Plan zu haben, lässt nichts Überraschendes oder gar Neues entstehen.
Hast Du Vorbilder, speziell jetzt für das Genre der Fotografie?
Iris Herzog Nein! Aber meine Bewunderung gilt voll und ganz Peter Lindbergh – natürlich seinen großartigen Fotos/Bildern und nicht zuletzt, weil er auch „im Leben immer hinter der Kamera stand“! Beeindruckt hat mich auch der Berliner Fotograf Roger Melis (1940–2009) mit seinen Fotografien „Die Ostdeutschen“ (1964–1990, zwischen dem Bau der Berliner Mauer und ihrem Fall).
Deine Bewunderung für die beiden kann ich absolut teilen. Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Glück und Erfolg mit Deiner Foto-Kunst und demnächst mit der ein oder andere Ausstellung in Hamburg oder sonst wo auf der Welt! Du und Deine Fotos haben es verdient!
Online www.iris-herzog.de
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