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Herr Dr. Esser, Sie konnten bereits 2019 und jetzt auch 2020 auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr zurückschauen. Basiert dies auf der Tatsache, dass Menschen in einer Krise glaubwürdige Informationen brauchen? Ist das das Geheimnis Ihres Erfolges?
Dr. Rainer Esser Ja, dass Menschen in der Krise glaubwürdige Informationen brauchen, ist einer der Gründe für das Auflagenwachstum der ZEIT. Wir hatten jetzt im zweiten und im dritten Quartal zwei Rekordauflagen in Folge und sind in der harten Auflage, bestehend aus Einzelverkauf und Abonnement, im Vorjahresvergleich um fast 12 Prozent gewachsen auf insgesamt über 540.000 in diesem Quartal. Die Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion, ob Print oder Online, spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie machen in dieser Zeit, in der sie besonders gefordert sind, einen ausgezeichneten Job. Häufig bringen sie Themen, Ideen und Anregungen, die man so nur in der ZEIT und auf ZEIT Online findet. Ein weiterer Grund für unseren Erfolg ist auch, dass das ganze Haus sehr eng zusammenarbeitet: Print und Online, Verlag und Redaktion, Hamburg und Berlin. Der Austausch ist sehr gut und kollegial und voller Kreativität und Vertrauen.
Wie gestaltet sich für Sie ein typischer Tag?
Dr. Rainer Esser Bevor Corona über uns hereinbrach, war ich zwei bis drei Tage in der Woche unterwegs bei Kunden, Konferenzen oder bei Gesprächspartnern der ZEIT und habe viele Menschen im Haus zusammengebracht. Das alles findet jetzt von morgens bis abends in Video-Konferenzen statt. Und ich habe eine ganze Reihe Jour-Fixe in der Woche mit meinen Kolleginnen und Kollegen.
Was macht DIE ZEIT als Arbeitgeber so attraktiv?
Dr. Rainer Esser Bei der Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu sind wir top unter den Medienunternehmen. Kununu hat uns außerdem als eines der familienfreundlichsten Unternehmen in Deutschland ausgezeichnet. Ich glaube, von anderen Unternehmen unterscheidet uns, dass unser Leitbild auch wirklich gelebt wird: Es besagt, dass wir respektvoll miteinander umgehen – unter uns Kolleginnen und Kollegen genauso wie mit unseren Kunden und mit unseren Leserinnen und Lesern. Außerdem sind wir zuversichtlich, es herrscht in unserem Hause ein guter Spirit. Wir wachsen durch Kreativität und permanente Innovationen, unser Blick ist immer nach vorne gerichtet. Das gilt für unsere publizistischen Angebote, mit denen wir die Leser inspirieren wollen. Und es gilt auch im Haus selber: wir denken uns fortwährend neue Dinge aus, die wir auf die Straße bringen. Hier herrscht eine gute Kultur, das macht uns als Arbeitgeber attraktiv. Und es gibt viele kluge Individualisten im Haus, die ihren Individualismus auch leben dürfen. Es gibt nicht jemanden, der das Kommando angibt, sondern es wird viel diskutiert. Und wenn Vertrauen und Freiheit da sind, bringt der Einzelne sich gerne ein, was dem Erfolg des Ganzen zuträglich ist.
Durch die selbstauferlegte Kürzung Ihrer eigenen Bezüge wurde eine größere Diskussion entfacht. Wie sind Sie damit umgegangen?
Dr. Rainer Esser Als Corona sich Ende Februar / Anfang März ankündigte war vollkommen klar, dass wir alle den Gürtel enger schnallen müssen und in Bereichen, die wirtschaftlich gebeutelt waren, drohte sogar Kurzarbeit. Und dass Giovanni di Lorenzo und ich da vorangehen, war für uns selbstverständlich. Darüber gab es im Haus keine Diskussionen. Es haben eine ganze Reihe unserer Führungskräfte mitgemacht und auch außerhalb des Hauses habe ich nur einen Artikel gelesen, der sich ein wenig darüber amüsiert hat.
Warum halten Sie gerade Ihr Paid-Content-Modell für das Beste der Branche?
Dr. Rainer Esser Wir wurden für unser Modell mit dem European Digital Media Award 2018 ausgezeichnet. Die Jury lobte die sehr gut auf das Qualitätsmedium zugeschnittene Paid-Content-Strategy. Weshalb die Strategie erfolgreich ist? Auf der einen Seite haben wir Artikel, die uns ordentlich Reichweite bringen, ZEIT ONLINE wächst sehr stark. Und auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Artikeln, die so unique sind, dass wir uns erlauben, sie hinter das rote Z zu stecken. Das bedeutet, dass derjenige, der den Artikel lesen möchte, diesen kostenlos lesen kann, nur schließt er gleichzeitig ein kostenloses Abo für vier Wochen ab. Daraufhin hat er dann mehr Kontakt mit uns, wir kümmern uns darum, dass er die ZEIT auch wirklich kennenlernt. Andere Artikel bekommen ein graues Z – Nutzer, die diese Artikel lesen möchten, registrieren sich. Auch mit ihnen können wir anschließend in Kontakt treten. Damit haben wir ein abgestuftes und erfolgreiches Modell, das Reichweite und Paywall verbindet. Inzwischen arbeiten wir auch recht intensiv um die Paywall herum mit Algorithmen und wir haben eine wunderbare Willkommens-Strecke für Neukunden. Und wenn wir sie für uns gewonnen haben, kümmern wir uns intensiv um unsere Abonnenten: unser Team „Freunde der ZEIT“ bietet ihnen wöchentlich besondere Angebote und die Möglichkeit, unsere Redakteurinnen und Redakteure kennen zu lernen. Hinzu kommt, dass wir eine Reihe an reichweitenstarken Podcasts haben, die insgesamt 10 Millionen Mal im Monat gehört werden. Die Marke ZEIT wird vielfältig an die Zielgruppe herangetragen: durch die Zeitung, durch unser großes Online-Angebot, durch die Podcasts, durch die vielen Veranstaltungen, die zurzeit digital stattfinden oder auch durch den ZEIT-Shop, die ZEIT-Akademie und ZEIT-Reisen.
Sie haben erst sehr spät auf Paid-Content gesetzt. Warum?
Dr. Rainer Esser Sie haben vollkommen Recht. Wir sind spät gestartet, denn wir wollten erst einmal schauen, was da eigentlich passiert. Denn es bedeutet einen großen Schritt vom Ausbau der Online-Reichweite – worauf bis dahin alle hingearbeitet haben – auf ein neues Modell umzusteigen, das Reichweite und Abo-Generierung verbindet. Wir haben uns erst einmal intensiv umgeschaut, was in anderen Häusern passiert, zum Beispiel auch bei der New York Times, die ja immer ein bisschen der „Front-Runner“ ist. Wir haben uns nicht gleich aus der Experimentierphase herausgewagt, sondern erst die Erfolgsmodelle von anderen angeschaut und dann für uns das Beste herausgesucht. Das funktionierte gut. Denn auch wenn wir etwas später gestartet sind, haben wir jetzt fast 180.000 digitale Zugänge – das ist beinahe schon ein Drittel unserer gesamten Auflage. Und damit sind wir bereits führend unter den großen überregionalen Angeboten.
DIE ZEIT erreichte die höchste Auflage seit Gründung – mit fast 12 Prozent Wachstum im Abonnement und Einzelverkauf. Wie entwickelten sich hingegen die Erlöse zwischen Print- und Digitalabos?
Dr. Rainer Esser Bei uns hat ein Print-Abo den gleichen Preis wie ein Digital-Abo. Der Grund ist, dass das Digital-Abo zwar günstiger in der Produktion ist, aber es umfasst viel mehr. Mit dem Digital-Abo bekommen Sie alle unsere Regionalausgaben für Hamburg, Ostdeutschland, Österreich oder die Schweiz sowie Christ und Welt – und Sie erhalten das Ganze bereits am Mittwoch und nicht erst am Donnerstag. Hinzu kommen eine Reihe von verschlossenen Online-Artikeln. Damit hat das Digital-Abo viele Vorteile. Deshalb haben wir hier den gleichen Preis wie beim Print-Abo angesetzt. Zu Ihrer Frage nach der Verteilung bei den Vertriebserlösen: Print ist stabil und digital wachsen wir ordentlich. Im Oktober haben wir 55.000 Abos mehr generiert als im Vorjahr – und das sind vor allem Digital-Abos.
Woran liegt es, dass DIE ZEIT in der Corona-Krise immer noch so anschauliche Werbeumsätze generiert?
Dr. Rainer Esser Selbstverständlich haben wir in der Corona-Krise auch einen Rückgang im Print-Anzeigengeschäft; das Digital-Anzeigengeschäft wächst hingegen. Die Gründe sind zum einen unser außergewöhnliches Auflagenwachstum: wir sind jetzt in der Auflage größer als die Süddeutsche Zeitung und die FAZ zusammen. Auch die Reichweiten über die verkaufte Auflage hinaus, die für die Werbeindustrie interessant sind, sind dynamisch gewachsen bei der ZEIT, sodass wir auch einen guten und vergleichsweise sehr günstigen Preis bieten für die Werbeleistung. Das ist auch ein Grund dafür, dass wir seit ein, zwei Jahren unser ZEIT-Studio haben. Es verbindet alle Angebote, die wir im Bereich b-to-b, also für die Wirtschaft insgesamt, haben, zu kreativen Kommunikationslösungen.
Können Sie uns etwas über Ihren Führungsstil erzählen. Was macht ihn besonders?
Dr. Rainer Esser Wir sind Teil eines Familienunternehmens der Holtzbrinck Publishing Group von Stefan von Holtzbrinck und der DvH Medien von Dieter von Holtzbrinck. In dieser Verlagsgruppe herrscht ein großes Vertrauen zueinander. Das haben wir auch bei der ZEIT kultiviert. Ich habe um mich herum eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen, z.B. die Geschäftsleitung, das sind ausgewiesene Spezialisten, und ich vertraue ihnen voll und ganz. Ich ermuntere, gebe Ideen, berate im operativen Geschäft, vermittle, wo ich Menschen kenne, die uns wiederrum helfen können. Wichtig ist mir eine gute Fehlerkultur: Wir machen alle Fehler, das gehört dazu – auch bei den klügsten Kolleginnen und Kollegen.
Wie wichtig sind die vielfältigen Geschäftsfelder wie Veranstaltungen, Content Marketing-, Employer Branding- und Weiterbildungsangebote neben den zahlreichen renommierten Printprodukten und dem innovativen digitalen Portfolio?
Dr. Rainer Esser Diese Geschäftsfelder sind sehr wichtig, weil – wie Sie auch eingangs erwähnten – unsere wachsende Auflage damit zusammenhängt. Wir haben durch sie sehr viele Berührungspunkte mit den Menschen, die wir gerne als Abonnenten oder als Käufer am Kiosk hätten. Wir haben zum Beispiel ein gutes Dutzend an Magazinen, ZEIT Wissen oder ZEIT Geschichte, Magazine für Kinder, für Studenten, für Gymnasiasten, für Menschen, die gerade Englisch, Französisch, Italienisch oder Spanisch lernen. Durch sie lernen viele Leserinnen und Leser dann auch die ZEIT kennen. Oder auch durch ZEIT-Reisen, unseren Reiseveranstalter, mit dem vor Corona jährlich fast 6.000 Leserinnen und Leser verreist sind.
Die Reisen dauerten bis zu sechs Wochen, wenn ich da richtig informiert bin?
Dr. Rainer Esser Ja, 55 Tage, z.B. eine Busreise von Hamburg nach Shanghai.
Das finde ich wirklich sehr erstaunlich. Wer nimmt sich 55 Tage Zeit, um mit einem Bus nach Shanghai zu fahren?
Dr. Rainer Esser Das ist schon eine besondere Reise und der Bus ist natürlich ein sehr großer, komfortabler Bus. Er fährt durch die schönsten Landschaften und hält regelmäßig an. Dann gibt es Stadtführungen mit Begleitung durch eine ZEIT-Redakteurin oder einen ZEIT-Redakteur. Es gibt besondere Führungen und schöne Hotels. Der Bus ist nur das Transportmittel. Es ist eine 55-tägige Erlebnisreise. Wir bieten das Ganze übrigens auch als Seereise an, von Hamburg nach Shanghai.
Nach gründlicher Recherche belief sich 2019 der Jahresüberschuss (nach Steuern) auf rund 20 Millionen Euro. Den Umsatz gab das Unternehmen mit 227 Millionen Euro an. Inwieweit müssen die Zahlen – durch den Corona-Einbruch – korrigiert werden?
Dr. Rainer Esser Ihre Zahlen bestätige ich nicht, aber ich kann Ihnen versichern, dass wir im Jahr 2020 stabil sind.
Kann DIE ZEIT noch weiterwachsen?
Dr. Rainer Esser Wir schauen jedes Jahr, dass wir mit neuen Ideen für unsere Community wachsen. Die ZEIT ist viel mehr als eine Zeitung oder ein Online-Portal – wir sind eine Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft möchten wir immer stärker an uns binden und so lange wir Ideen haben und gut zusammenarbeiten, ist das möglich. Dem Wachstum könnte nur unsere Fantasie Grenzen setzen. Laut AWA gibt es über 10 Millionen Menschen, die sich im Quartal mit der ZEIT auseinandersetzen. Unsere Auflage wächst in diesem Quartal über 540.000. Da ist noch Luft nach oben.
Wie gestaltet sich die Medienwelt von morgen?
Dr. Rainer Esser Ganz generell ist die Medienwelt von heute so facettenreich und so spannend wie nie zuvor. In der analogen Zeit gab es den Vertrieb Print und die Print-Anzeige und das war’s. Heute haben wir durch die Digitalisierung viele neue Möglichkeiten, mit unseren Leserinnen und Lesern in Kontakt zu treten. Auf der Bühne leben wir den Journalismus der ZEIT schon seit 20 Jahren. Nun gibt es zusätzlich die sozialen Netzwerke, in denen unsere Publizisten ihre Ideen, ihre Artikel weiter multiplizieren. ZEIT Online wird auf dem Desktop gelesen, aber auch immer mehr auf dem Smartphone. Audio wird immer wichtiger. Podcast-Angebote werden in Zukunft noch stark wachsen und die Geräte, auf denen wir die publizistischen Inhalte lesen oder hören können, werden sicherlich noch vielfältiger. Ich finde das ungeheuer spannend. Wer früher eine Druckmaschine oder einen Sendemast besaß, hatte damals das Monopol. Das gibt es heute nicht mehr. Heute kann jeder publizieren, der Anschluss ans Internet hat. Gerade durch diese Kakofonie im Netz sind Marken, die glaubwürdig sind und Vertrauen erwecken, heute besonders gefragt. Ich denke, dass die Medienwelt von morgen noch bunter wird, vermutlich auch noch unübersichtlicher als heute. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Marke stets pflegen und ausbauen. Damit wir weiterhin eine starke Stimme haben.
Neben der ZEIT leiten Sie auch die Dieter von Holtzbrinck Medien als Geschäftsführer. Was ist Ihre Aufgabe?
Dr. Rainer Esser Meine Hauptaufgabe liegt bei der ZEIT. In der DvHM bin ich nebenher als Ratgeber aktiv.
Sie sind ein bekennender Workaholic. Wie bleibt da Zeit für die Familie?
Dr. Rainer Esser Die Aufgabe hier ist sehr facettenreich. Es ist eine sehr inspirierende Arbeit, die viel Freude bereitet und die natürlich auch in die Zeit, die ich mit meiner Familie verbringe, hinein reicht. Mit der Familie bin ich in den Ferien viel unterwegs. Corona hat mir jetzt leider bei der einwöchigen Reise nach Griechenland mit meiner Tochter einen Strich durch die Rechnung gemacht. Meine Frau und ich sind dreimal im Jahr zusammen mit beiden Kindern unterwegs. Außerdem fahre ich einmal im Jahr abwechselnd mit meiner Tochter und meinem Sohn allein weg.
Welche Ziele haben Sie für die Zukunft?
Dr. Rainer Esser Mein Ziel ist der weitere Ausbau dieses wunderbaren Unternehmens, damit es weiterwächst und krisenfest ist. Dass viele gute Leute eng vertrauensvoll zusammenarbeiten und dieser Spirit noch stärker wird, denn das ist die beste Basis für weiteres, gesundes Wachstum. Die größte Chance ist dabei weiterhin die digitale Transformation, in der wir stecken. Ich möchte dafür sorgen, dass unser Unternehmen weiter digital wächst – und das, ohne das Stammgeschäft zu vernachlässigen.
Also kann man nur hoffen, dass das eh relativ breite digitale Angebot noch ein bisschen weiter ausgebaut wird. Letzte Frage: Das Bildungsprogramm, das die ZEIT-Verlagsgruppe vorbildhaft mit etabliert hat, soll dies ebenfalls weiter ausgebaut werden?
Dr. Rainer Esser Ja, unsere ZEIT Akademie, Bildung per E-Learning. Der Markt ist bislang noch nicht sehr groß, entwickelt sich jetzt aber. Und da wir hier bereits seit einigen Jahren aktiv sind, sind wir bereits gut etabliert. Aber da geht noch viel!
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