People
Yared Dibaba
Das Leben ist nie eine gerade Linie
Vielen Lesern bist du als Fernseh-Moderator bekannt. Im Sommer konnte man dich in der Reisereportage „Yared kommt rum“ sehen. Dort hast du verschiedene Orte in Norddeutschland besucht und bist der Frage auf den Grund gegangen, warum die Bewohner nirgendwo anders leben möchten als eben dort. Ein Format, das dir auf den Leib geschrieben ist, denn mit Menschen ins Gespräch zu kommen – gerne auch mal auf Plattdeutsch – scheint dir besonders große Freude zu machen, oder?
Yared Dibaba Ja, absolut. Ich bin ein großer Menschenfreund und liebe es, mich mit Menschen auszutauschen. Ich bin total neugierig und möchte von meinem Gegenüber wissen: wer bist du, was machst du, warum machst du die Dinge so wie du sie machst und wie bist du dahin gekommen, wo du jetzt bist? Dabei ist meine Neugier völlig wertfrei, denn ich weiß, dass die Menschen oft viel erlebt haben. Gutes und Schlechtes, Lustiges und Trauriges, haben Erfolg gehabt und Misserfolge erlebt. Dabei interessiert und beeindruckt mich gleichermaßen die Art und Weise, wie Menschen den Mors hochkriegen – wie wir so schön auf Plattdeutsch sagen –, wenn’s mal ganz schlecht gelaufen ist. Denn Erfolg haben ist die eine Sache, aber mit Misserfolgen umzugehen, ist die wahre Kunst und wird von den Menschen sehr unterschiedlich aufgearbeitet. Aber auch was wir als Erfolg bezeichnen, ist sehr individuell. Daher tausche ich mich so gerne mit den verschiedensten Menschen aus und lerne auch jedes Mal viel aus den Erfahrungen anderer. Denn auch ich durchlaufe ja die unterschiedlichsten Phasen in meinem Leben – mit Höhen und Tiefen. Das Leben ist nie eine gerade Linie.
Du bist im Südwesten Äthiopiens im Volk der Oromo geboren und hast dort auch die ersten Jahre deiner Kindheit verbracht. Und auch wenn du in deinem 10. Lebensjahr Äthiopien hinter dir gelassen hast, bist du politisch engagiert und setzt dich aktiv gegen die Unterdrückung der Oromo ein. Wie kam es dazu?
Yared Dibaba Das ist meine Heimat. Genauso wie der Norden meine Heimat ist und ich mich hier verwurzelt und zu Hause fühle, so fühle ich mich noch mehr – weil ich dort geboren bin, weil meine Eltern und meine Großeltern, meine Familie dort herkommt – mit meiner tatsächlichen Heimat verbunden. Ich habe dort meinen ersten Atemzug gemacht. Das sind meine Wurzeln, meine DNA. Ich verbinde so viele schöne Erlebnisse mit meiner Heimat, mit meinen Großeltern, mit meiner großen Familie, mit dem Wetter, mit dem Essen. Das ist tief in mir verankert. Und wenn man aus Angst um sein eigenes Leben und um das seiner Familie sein Land verlassen muss und man nicht in seine Heimat zurück kann, weil Bürgerkrieg tobt, dann verlässt man zwar das Land, aber die Heimat bleibt im Herzen. Menschen können die eigene Heimat verlassen, aber die Heimat bleibt im Menschen.
Aber du gehst noch einen Schritt weiter, indem du nicht nur die Heimat in dir hast, sondern du fühlst dich deiner Heimat auch ein Stück weit verpflichtet.
Yared Dibaba Absolut. Wir Oromos sind 60 Millionen Menschen und dennoch kennt kaum jemand die Oromo. Und das finde ich unfassbar. Wenn ich hier auf die Straße gehe und irgendjemanden frage, ob er oder sie die Oromo kennt, werden die meisten sagen: Wer oder was ist das denn? Daher möchte ich auf das Schicksal der Oromo aufmerksam machen. Es geht gar nicht darum, dass für mich die Oromo die coolsten und besten Menschen auf diesem Planeten sind, sondern ich wünsche mir, dass die Oromo genau die gleichen Rechte haben wie wir in Deutschland. Und dabei meine ich, ein ganz normales Leben führen zu können: genügend Essen zu haben, arbeiten gehen, die eigenen Kinder großziehen, Urlaub machen, feiern und in Frieden leben. Die einfachsten Dinge eben. Leider geht das für viele Menschen nicht, denn es gibt die Willkür der äthiopischen Regierung. Es werden Menschen außergerichtlich verurteilt, inhaftiert, gefoltert, getötet, entführt. Kinder, Jugendliche, Eltern vor ihren Kindern. Es passieren so schreckliche Sachen und es bekommt kein Mensch mit. Das ist für mich unfassbar.
Dass ein so großes Volk unterdrückt werden kann, ohne dass dies mediale Beachtung findet, ist unvorstellbar. Es scheint für die Oromo keine Lobby zu geben – mit dramatischen Folgen.
Yared Dibaba Ja, genauso ist es. Selbst wenn über Äthiopien berichtet wird, erwähnt kaum ein Mensch mit irgendeinem Wort das Schicksal der Oromo. Wie kann man die Hälfte des Landes ignorieren? Deswegen engagiere ich mich für die Oromo und zwar bei der Gesellschaft für bedrohte Völker und versuche bei jeder Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen. Ich habe das große Glück, dass ich hier in Deutschland eine Ausbildung machen konnte, dass ich einen Job machen darf, der mir große Freude macht und den ich wirklich liebe, mit allem was dazugehört. Ich habe die Gelegenheit öffentlich zu sprechen und das mache ich sehr gerne. Ich möchte auf Missstände hinweisen und engagiere mich gerne in und für die Gesellschaft – nicht nur, aber im Moment eben sehr intensiv für das Schicksal der Oromo, da sie einfach nicht gesehen werden.
Das lässt einen wirklich sprachlos und schockiert zurück. Man kann sich über vieles informieren, aber eben auch nur, wenn darüber berichtet wird.
Yared Dibaba Das ist ein großes Problem und da appelliere ich auch an meine Journalisten-Kolleginnen und -Kollegen und natürlich auch an die Menschenrechtsorganisationen, aber auch an Politikerinnen und Politiker. Alle müssen dort hinsehen und das dortige Geschehen sichtbar machen. Es ist rein menschenrechtlich eine Schande, wenn keine Demokratie gelebt wird, keine Menschenrechte geachtet werden, dann wird es dort auch nie Ruhe geben. Du kannst nicht deine Nachbarn unterdrücken, foltern, quälen und selber in Ruhe weiterleben. Irgendwann wird der unterdrückte Nachbar aufstehen und sich wehren. Denn wir müssen uns bewusst machen, dass die Geschichte der Unterdrückung der Oromo vor über 200 Jahren begann. Mein Vater, meine Mutter, meine Großeltern und sogar meine Urgroßeltern haben diese erlebt. Deswegen ist es für mich eine Herzenssache, dass ich mich für die Rechte der Oromo engagiere.
Der Begriff Diversity ist zurzeit in aller Munde und es ist auch ein Thema, mit dem du dich nicht nur auseinandergesetzt hast, sondern Vielfalt hat dich geprägt. Hast du daher eine ganz besondere Einstellung und Sicht auf dieses doch sehr komplexe Thema?
Yared Dibaba Ich rede gerne von Kuddelmuddel und meine damit Vielfalt bzw. Diversität (lacht). Aktuell werden das Thema Vielfalt und die tiefgreifenden Veränderungen in unserer Gesellschaft als beängstigend und für manche sogar als Bedrohung empfunden. Das kann ich total gut verstehen. Die Vielfalt ist eben einfach da, genauso wie das Wetter einfach da ist. Du kannst sagen, dass du Wetter gut oder nicht gut findest. Es ändert nichts an der Tatsache, dass das Wetter existiert. Es regnet, es scheint die Sonne, es hagelt, es gibt Überschwemmungen. Am Ende bleibt die Frage, wie du mit dem Wetter umgehst und ob du dich auf das jeweilige Wetter einstellst. Und das ist auch beim Thema Vielfalt so.
Ich möchte den Menschen Lust auf Vielfalt machen, vor allem denjenigen, die Angst haben oder vielleicht einfach nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Mut machen und Augen öffnen. Das ist sehr wichtig, denn Vielfalt steht auch im engen Zusammenhang mit unseren Menschenrechten. Die gilt es zu achten und sie sind auch ein großer Schatz, aus dem wir schöpfen können. Das sage ich aus ganz eigener Erfahrung, denn ich bin wundervollerweise mit verschiedenen Kulturen groß geworden.
Vielfalt hat so viele Gesichter. Jede und jeder spielt im Leben verschiedene Rollen und daraus ergeben sich unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche, wie wir mit dem Leben umgehen. Wir haben unterschiedliche Perspektiven und wenn wir das bedenken, gehen wir sicherlich auch anders miteinander um.
Du nutzt deinen Beruf und deine Öffentlichkeit immer wieder dazu, das Thema Vielfalt auf unterschiedliche Art und Weise in den Fokus zu rücken. Das ist natürlich ein ganz toller Weg, die Gesellschaft ohne erhobenen Zeigefinger zu sensibilisieren.
Yared Dibaba Genau. Ich glaube mit Druck geht gar nichts und mit der Brechstange geht’s genauso wenig. Aber wir müssen gemeinsam lernen und in einem Prozess die Gesellschaft weiterentwickeln. Um diesen Prozess voranzutreiben, habe ich mit Freunden ein Start-Up mit dem Thema Diversity gegründet. Unsere Aufgabe ist es Unternehmen und Organisationen beim Diversity-Management zu beraten und zu unterstützen. Viele Unternehmen möchten mehr über das Thema Diversität erfahren und es im eigenen Betrieb sinnvoll implementieren. Zu Recht, denn wir haben einen Fachkräftemangel und den demographischen Wandel zu bewältigen. Unternehmen müssen sich öffnen und sich genau wie die Gesellschaft weiterentwickeln. Viele Unternehmen wissen aber gar nicht, wie sie sich öffnen sollen und können. An diesem Punkt beraten wir und bieten Workshops mit Diversity-Trainern an. Ich habe mich über mehrere Monate zum Diversity-Trainer ausbilden lassen, da dieses Thema einfach viele Menschen, und auch mich, umtreibt. Es ist ein sehr gutes Gefühl, zu sehen, dass wir mit unserem Start-Up Unternehmen helfen können etwas zu verändern. Auch hier spielen meine persönlichen Erfahrungen eine große Rolle und natürlich mein Netzwerk an Trainerinnen und Trainern. Das alles führt zu einer kompetenten Beratung auf Augenhöhe.
Jetzt startet auch deine aktuelle Tour „Der Yareds Rückblick – Wiehnachten mit Yared Dibaba und die Schlickrutscher“ quer durch Norddeutschland. Was erwartet die Zuschauer und wie groß ist die Freude, wieder so richtig unterwegs zu sein?
Yared Dibaba Ich freue mich wahnsinnig! Ich gehe so gerne auf Tour, weil ich dann richtig in den Norden eintauchen und mit den Menschen auf Tuchfühlung gehen kann. Auf der Bühne bekommst du sofort Feedback. Das ist einfach eine große Gaudi und für mich eins der schönsten Gefühle, mit der Band auf Tour zu sein. Abends bist du völlig erledigt und alles erfordert total viel Disziplin, auch schon jetzt bei der Vorbereitung. Es ist im Vorfeld immer eine Wahnsinnsarbeit. Mit meinem Autor und Regisseur Oliver Kleinfeld bereite ich alles bis ins Detail vor und im fertigen Bühnenprogramm steckt dann immer viel Blut und Schweiß drin. Dafür bestimme ich das Programm und kann das Thema setzen und kann mit den Zuschauern interagieren. So entsteht eine wunderschöne Energie und wir begeben uns zusammen für 90 Minuten auf eine Reise. Das ist immer cool.
Ist das Programm denn auch ein tatsächlicher Jahresrückblick?
Yared Dibaba Ja, das ist mein persönlicher Rückblick auf das Jahr. Dabei motiviere ich das Publikum mitzumachen und mitzusingen. Es gibt immer Klötenköm (Anmerkung der Redaktion: Eierlikör) und vieles ist spontan und entsteht in dem Augenblick. Genauso gibt es aber auch ernsthafte und traurige Momente, so wie es im wahren Leben auch nicht immer nur lustig ist. Selbstverständlich wird es auch besinnlich. Und es wird vielfältig. Definitiv.
Schauspieler, Moderator, Speaker, Musiker, Entertainer und Autor. Mehr geht nicht. Welche Projekte erwarten dich im kommenden Jahr und worauf freust du dich ganz besonders?
Yared Dibaba Für mich ist das Thema Kuddelmuddel nach wie vor ein wichtiges Thema, das mich auch noch im kommenden Jahr beschäftigen wird. Als neues Projekt werde ich ein Video-Podcast machen. Meine Gäste werden bekannte und weniger bekannte Personen sein und wir werden uns auch zum Thema Kuddelmuddel austauschen und darüber sprechen. Aber dies wird nicht der vordergründige und einzig bestimmende Inhalt sein. Es wird sich vielmehr daraus ergeben, dass jede Person seine eigene Biografie hat mit den unterschiedlichsten Erlebnissen. Ich mag besonders gerne, dass es ein Video-Podcast wird – man kann meine Gäste also auch sehen. Selbstverständlich kann man den Podcast auch klassisch als Audiopodcast hören. Ich bin gespannt, welche Höhen und Tiefen in meinem Podcast zur Sprache kommen werden und was wir voneinander lernen können. Deshalb – und weil ich das Wort Kuddelmuddel einfach schön finde – habe ich den Podcast auch einfach Kuddelmuddel-Podcast genannt.
Es bleibt also spannend und wir können uns mit Sicherheit auf vielfältige neue Projekte mit dir freuen. Wird es dich auch weiterhin im Fernsehen zu sehen geben?
Yared Dibaba Definitiv, wir sind an verschiedenen Fernsehproduktionen dran. „Yared kommt rum“ ist sehr gut gelaufen und da sind wir am Überlegen, ob und wie wir im nächsten Jahr weitermachen können. Wir produzieren weiterhin die Sendung „Ohjaaa! – Sex lieben“ im WDR, unsere Sendung zum Thema Sexualität. Die Sendung wird sehr gut angenommen, auch in der ARD-Mediathek, und auch der alle zwei Wochen erscheinende dazugehörige Podcast. Ende des Jahres kommen die neuen Folgen. Ich liebe das Format und es macht total Spaß mit meiner Kollegin Annabell Neuhof und unserem Team diese Sendung zu produzieren. Ich habe echt super viel dazugelernt, das hatte ich vorher nicht erwartet (lacht). Alles andere lasse ich entspannt auf mich zukommen und freue mich auf das kommende Jahr.
Einen Kommentar schreiben