Art & Design
André Chahil
Art Consulting – Einblicke
In welchem Tätigkeitsfeld ist man als Art Consultant tätig und welchen beruflichen Werdegang schlägt man hierfür ein? Können Sie ihren Beruf, ihre Dienstleistungen skizzieren?
André Chahil Der berufliche Titel eines Art Consultant – im englischsprachigen Raum auch Art Advisor – ist kein geschützter Berufstitel und somit frei wählbar. In meinem Falle erfolgte als Basis ein intensives siebenjähriges Studium der Kunst- und Kulturgeschichte. Dies gepaart mit einer großen Portion an Leidenschaft, sich mit diversen Fragen des internationalen Kunstmarktes auseinanderzusetzen. Als Art Consultant biete ich meine Dienstleistung für die Vermittlung von Kunstgegenständen auf dem primären und dem sekundären Kunstmarkt an. Ich führe Interviews, recherchiere für mein Klientel wissenschaftlich und verfasse Fachartikel. Darüber hinaus berate ich Klienten, die selbst als Künstler agieren, die in Museen arbeiten und Kunstsammler sind. Im Kern ein breites, abwechslungsreiches Feld. Reisen und Museen und Ausstellungen besuchen gehört selbstverständlich ebenfalls dazu.
Es gibt Stimmen, die behaupten, Hamburg habe eine leicht träge, eingeschlafene Kunstszene. Wie bewerten Sie das gegenwärtige Hamburg Verhältnis zur Kunst?
André Chahil Hamburg hat eine lebendige Galerieszene, deren Zentren auf wenige Stadtteile verteilt sind. Im Gegensatz zu Berlin, Düsseldorf oder München verhält es sich allerdings wie ein Schluck Wasser mit trockenem Brot. Wir in Hamburg neigen dazu, vieles in einer gradlinigen Balance zu halten. Für neue, frische Impulse aus der Kunstszene, die noch über die Stadttore nachhallen, reicht es hierfür bei weitem nicht aus. Wie Karl Lagerfeld es einmal beschrieb: „Hamburg ist das Tor zur Welt. Aber du musst auch durchgehen.“ Wir haben diesbezüglich ähnlich kritische Fragen in der Architektur. Zeitgenossen meiner Branche sprechen davon, dass in Hamburg die tradierten Werte der Hamburger Pfeffersäcke vorherrschen. Zum einem sind wir gesättigt, zeigen uns und leben mit reformatorischer Zurückhaltung. Geben uns gerne als Mäzene und Unterstützer. Der wohlhabende Hanseat kauft auch längst auf dem internationalen Kunstmarkt und bringt seine Kunstwerke aus London und New York mit und geht damit selten in die Öffentlichkeit.
Hamburgs Hochschule für bildende Künste hat seit ihrer Gründung 1767 wiederum Talente hervorgebracht und Professoren engagiert, die ihren internationalen Siegeszug angetreten haben. Die Hamburger Fakultät für Kunst- und Kulturgeschichte hat einen guten Ruf mit eigener Tradition. Es war einmal Erwin Panofsky, der vor fast 100 Jahren in Hamburg u.a. die theoretischen Ansätze der Ikonographie und Ikonologie manifestierte. Bis heute ein weltweiter Standard für kunstwissenschaftliche Herangehensweisen von Sujets. Der wohlhabende Bankiers-Erbe Abi Warburg wendete sich einst von der Finanzwelt ab und investierte sein Vermögen in die Forschung des Nachlebens der Antike in Segmenten der abendländischen Kultur. Heute erinnert das Warburg Haus mit seiner schönen Bibliothek in Hamburg Eppendorf daran. Die Sammlung Falckenberg ist zeitgenössisch modern und eines der angesehensten Privatmuseen von hohem, internationalen Rang. Hamburgs Kunsthalle, die Museen und die Universität schreiben große Kunstgeschichte. Ich freue mich jedoch immer über neue Impulse in der Galerieszene. Die Mietpreise für Galerieflächen an bekannten Standorten, dies gepaart mit verhältnismäßig wenig Kaufkraft, lassen leider die Träume vieler Idealisten zerplatzen. Hamburgs Kunstszene darf gerne wieder etwas wilder werden.
Wir finden uns in einem gesellschaftlichen Umbruch der Digitalisierung. Was bedeutet dieser Schritt für die Kunstwelt?
André Chahil Es gibt einen breit gefächerten Markt, der sich mit Fragen der Digitalisierung im Segment der Kunst beschäftigt. Zahlreiche Startups kreieren seit einigen Jahren Programme und Apps für digital begehbare Galerie- und Ausstellungsräume. Museen möchten ihre Sammlungen und Räume für jedermann abrufbar, in medialer Weise begehbar machen. Eine Betrachtung im Original bleibt dennoch unersetzlich. Online-Shops für Kunst im Niedrigpreissegment florieren – und ein potenzieller Käufer hat diverse Möglichkeiten, das Kunstwerk bereits im Vorfeld in virtuell ausgestatteten Räumen zu betrachten. Für Kunstwerke und archäologische Kunstschätze werden große digitale Datenbanken angelegt. Zum einem dient es der Forschung, zum anderen um Nutzungsrechte vergeben zu können. Die Grundlagen für Datenschutz- und Urheberrechte sind hierbei zu einem großen Diskurs geworden und bilden leider noch den limitierenden Faktor zur digitalen Freiheit.
Herr Chahil, was bewirkt Kunst in uns Menschen?
André Chahil Die Summe künstlerischen Ausdrucks ist das, was von uns Menschen zurückbleibt. Im Verlaufe der Geschichte hat Kunst Revolutionen angestoßen, diese begleitet, Städte und Räume ausgestattet und ihnen einen Charakter verliehen. Der Begriff, von dem was Kunst ist und wie Kunst aussehen kann (darf), unterlag bereits durch die Jahrhunderte einer stetigen Wandlung. Kunst beflügelt, kleidet unsere Umwelt, wirft wichtige Fragen in den Raum und ist manchmal einfach für den puren Genuss zu haben. Wenn Sie als Rezipient mit alledem schon gedanklich zu tun hatten, dann sind Sie auf einem guten Weg, ein Gefühl dafür zu bekommen, was Kunst in uns Homo Sapiens bewirken kann. Meine Empfehlung ist es, Kunstwerke im Kontext ihrer Entstehungszeit zu betrachten. Diese Herangehensweise öffnet gedanklich viele Türen, die einem tieferen Kunstverständnis adressiert ist. Lassen Sie sich vor allem Zeit.
Lesen Sie Kunstkrimis, schauen Sie Filme in denen es um Kunstraub geht?
André Chahil Den täglichen Kunstkrimi … den habe ich in meinem E-Mail-Postfach. Die Ware Kunst ist für Kriminelle zu einem großen Markt geworden. Kaum wird ein Jean-Michel Basquiat bei einem international renommierten Auktionshaus zu einem Rekordpreis versteigert, kommen Anfragen zu Dachbodenfunden, verlorengegangenen Skizzenbüchern, etc. für einen Verkauf. Zu über 90 Prozent mit fragwürdiger Provenienz und meist prosaischer Herkunft. Über 90 Prozent aller gehandelten Graphiken zu Picasso, Dalí, Matisse und weiteren Zeitgenossen entpuppen sich als Fake. Die Netzwerke der Akteure sind stetig angewachsen, die Kreativität lässt keine Ressourcen aus, um mit gefälschter Kunst schnelles Geld zu machen. Die Ware Kunst und archäologische Funde bilden einen Bereich, in dem viele Konflikte und Streitigkeiten ausgetragen werden. Die Liste für Beispiele wäre endlos. Für meine Arbeit ist es wichtig, ein klares Signal nach außen zu setzen und sich von dem Markt der Grauzone zu distanzieren.
Haben Sie eine schöne Anekdote aus Ihrem Berufsalltag?
André Chahil Ich hatte in diesem Jahr eine Ausstellung mit einer Künstlerin, mit der ich zusammen arbeitete. Die Vernissage war im vollen Gange, als eine Dame uns zum Gespräch bat, da sie die gesamte Ausstellung erwerben wollte. Natürlich hört man sich erst um, aus welchem Kreis die potenzielle Käuferin stammt: jung, wohlhabend, investiert in Kunst und möchte Künstler fördern und ein Portfolio aufbauen. Am selbigen Abend ließ sich die Kunstsammlerin im Kreise ihrer Freunde bereits groß feiern. Begeisterung für so viel Großzügigkeit! Tage später stellte sich heraus, dass sie eine Hochstaplerin war – bzw. die Geschäftsfähigkeit nicht gegeben war. Erfahrungen dieser Natur sind nicht nur enttäuschend und anstrengend, sondern darüber hinaus äußerst lehrreich.
Zu Ihren Dienstleistungen zählt das Verfassen von Fachbeiträgen und das Führen von Interviews. Wer oder welches Thema hat Sie besonders herausgefordert?
André Chahil Einem Klienten, der seit über 30 Jahren für die internationale Anerkennung eines Bildes von Vincent van Gogh klagt, habe ich eine Stimme gegeben. Im Kern halte ich mich dem juristischen Sachverhalt gegenüber neutral. Ich konzentriere mich lediglich auf die Rahmenbedingungen, wie das Phänomen van Gogh in der Kunstwelt wahrgenommen wird und habe mit der Auflistung einiger Beispiele wichtige Fragen in den Raum geworfen, die nun international diskutiert werden. Die Recherchearbeit zu diesem Beitrag war immens. Ein Interview mit der renommierten Hamburger Fotografin Roswitha Hecke spiegelte u.a. ein Highlight meiner Arbeit wieder. Es waren ganze 50 Jahre an Fotografiegeschichte, die retrospektiv betrachtet und von einem Fachmagazin auch publiziert wurde. Die Fotografin hatte ein sehr bewegendes Leben, durfte viele Intellektuelle und Prominente in intimen Momenten festhalten. Heute hat sie die Kamera beiseitegelegt, es war ihr letztes großes Interview. Nun ist es ein Stück Hamburger Fotografiegeschichte.
Was waren Ihre persönlichen Highlights in diesem Jahr in Kunst und Kultur?
André Chahil Beruflich ging es für mich in diesem Jahr u.a. nach Wien. Zu den Besuchen der großen Museen, die jedem Kunsthistoriker das Herz schneller schlagen lassen, zählten gut kürettierte Sonderausstellungen. Im Museum für Angewandte Kunst wurde die Sonderausstellung „Chinese Whispers“ auf tausenden Quadratmetern gezeigt. Es ist die Sammlung des Mäzen Uli Sigg aus der Schweiz, der in über 30 Jahren hochkarätige, chinesische Gegenwartskunst zusammengetragen hat. Der Begriff neuzeitlicher asiatischer Kunstgeschichte des „Zynischen Realismus“ war hierbei bis in jede Arterie spürbar. Das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst in München lässt die Menschen durch Ausführung der besonderen Architektur aus Glas, Stahl und Beton in eine andere, alte Welt abtauchen. Zuletzt war ich gefesselt von assyrischen Reliefplatten aus dem 9. Jh. v. Christus. Diese waren über drei Meter hoch, mit einer inneren Logik konzipiert und strahlten eine Aura vergangener Zeit aus, die man nicht in Worte fassen kann. Ein Besuch, den ich in jedem Falle empfehle.
Herr Chahil, ich danke Ihnen für das interessante Interview.
Chahil Art Consulting · André Chahil
Tarpenbekstraße 78 · 20251 Hamburg
contact@andrechahil.com · www.andrechahil.com
Kommentare
Kommentar von Ueli Fuchser |
Informativ, sachlich, kompetent. Sowas lese ich gerne. Danke!
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